Die ärztliche Ethik

Ausländerbehörde stellt Ärztinnen zur Abschiebe-Begleitung suizidgefährdeter Flüchtlinge ein. Ärztekammerpräsident will intervenieren  ■ Von Elke Spanner

Auch selbstmordgefährdete Flüchtlinge werden aus Hamburg abgeschoben. Was bisher offiziell als Tabu galt, räumt die Ausländerbehörde nun unverblümt ein: „Suizidgefahr alleine reicht nicht aus, von einer Abschiebung abzusehen“, sagt Ausländerbehördensprecher Peter Keller. Um sicherzustellen, dass die Menschen sich zumindest erst nach der gewaltsamen Ausweisung das Leben nehmen, hat die Behörde in einer Stellenauschreibung für ihren „ärztlichen Dienst“ explizit zwei Medizinerinnen gesucht für die Begleitung von Rückführungen „insbesondere bei attestierter Suizidgefährdung“. Aufgrund dieser Aufgabenbeschreibungen wurden nun zwei neue Ärztinnen unter Vertrag genommen.

Laut Keller gab es auch in der Vergangenheit „immer schon Fälle, in denen Suizidgefahr bestand und trotzdem abgeschoben wurde“. Offenbar also auch zu Zeiten des rot-grünen Senats. Die GAL hatte indes immer darauf gepocht, die Atteste von ÄrztInnen zu berücksichtigen, die PatientInnen im Falle der Zwangsausreise für selbstmordgefährdet halten. „Sollte es Fälle gegeben haben, in denen trotzdem abgeschoben wurde, waren die nicht von unserer politischen Vereinbarung mit der SPD gedeckt“, so die GAL-Abgeordnete Antje Möller, die zu Regierungszeiten den Fraktionsvorsitz innehatte. Auch die neue Stellenausschreibung, in der rot-grünen Regierungszeit verfasst, sei politisch nicht besprochen worden. Der Arbeitskreis Asyl (AK Asyl) wirft Rot-Grün indes vor, mit der Installierung des ärztlichen Dienstes die Vorlage für solche Praktiken geliefert zu haben.

Auch der Präsident der Hamburger Ärztekammer, Frank-Ulrich Montgomery, betont, dass laut ärztlichem Kodex „eine Rückführung bei Suizidgefahr ausgeschlossen ist“. Die Begleitung bei Abschiebungen sei berufsethisch nur vertretbar, wenn ein Patient in seine Ausreise eingewilligt habe, und davon könne bei selbstmordgefährdeten Flüchtlingen keine Rede sein. In den vergangenen Jahren hatte er nicht gegen den ärztlichen Dienst interveniert, weil er mit den vorigen beiden Ärztinnen bei deren Einstellung ein Gespräch über ihre ärztlichen Pflichten geführt hatte und glaubte, dass sie den PatientInnen „helfen wollten“. Sollten nun aber auch suizidgefährdete Flüchtlinge mit ärztlicher Hilfe gewaltsam ausgewiesen werden, wäre das für ihn „eine neue Situation. Da würde ich natürlich intervenieren.“ Zunächst will er mit den neu unter Vertrag genommenen Medizinerinnen das Gespräch über die ärztliche Berufsethik suchen.

Das Selbstverständnis des ärztlichen Dienstes hatte allerdings bereits eine der vorigen Ärztinnen zum Ausdruck gebracht. In einem internen Aktenvermerk, der entgegen ihrer Absicht im vorigen Jahr öffentlich wurde, stimmte sie der Abschiebung zweier todkranker alter Menschen nach Pakistan zu und fragte: „Ist die BRD auch noch dafür veranwortlich, was mit den Leuten im Heimatland alles passieren kann?“