Da tickt ja was!

Wahid al-Ghamsi prüfte die Sicherheit der zivilen Luftfahrt in die USA: „Es war sehr ernst“

Handgepäck: Teppichmesser,Beutelchen mit zermahlener Kreide und eine Flasche Spiritus

„Wenn die großartigste Nation in der Geschichte der gottverdammten Menschheit einen schlechten Tag hat, dann ist mit ihr nicht gut Kirschen essen“, behauptet Wahid al-Ghamsi (26), Journalist der libyschen Tageszeitung The Tripolis Post. In der KLM-Lounge am Londoner Flughafen Heathrow nippt er hastig an seinem Tee, raucht Kette. „Auf Vorrat“, wie er sagt, weil wir die nächsten acht Stunden auf Zigaretten verzichten müssen; im Jumbo nach New York herrscht Rauchverbot.

Gerne erzählt Wahid, wie weiland Jerry Garcia von Grateful Dead die Rauchmelder auszutricksen pflegte: „Kopp in die Kloschüssel, Handtuch drüber, und bei jedem Ausatmen die Spülung betätigen, damit der Qualm abgesaugt wird“. Wahid mag amerikanische Musik, zwei Jahre hat er in Boston studiert. Heute will er die Wachsamkeit und Toleranz der USA auf eine harte Probe stellen: „Die Vereinigten Staaten von Amerika sind im Krieg“, weiß Wahid,„und zwar alle 50.“ Scharf bewacht sind daher alle vier Grenzen, oben Kanada, unten Mexiko, rechts Atlantik, links Pazifik. Wer in Amerika Furcht, Schrecken oder Milzbrand verbreiten will, muss mit der ganzen Härte des Gesetzes rechnen. Vorm Spiegel prüft Wahid noch schnell grimmige Grimassen und den Sitz seinen falschen Schnurrbartes. In seinem Handgepäck: Teppichmesser, Beutelchen mit zermahlener Kreide und eine mit Spiritus gefüllte Wasserflasche. „Okely-dokely, dann wollen wir mal“, sagt er.

Die erste Hürde nehmen wir am Ticketschalter: „Hatten Sie Ihr Gepäck die ganze Zeit bei sich?“, fragt routiniert die KLM-Mitarbeiterin. „Nein“, antwortet Wahid wahrheitsgemäß, „ich habe es drei Tage lang unbeaufsichtigt in einem libanesischen Teehaus deponiert!“ – „Wurden Sie von einem Fremden gebeten, Gepäck mit an Bord zu nehmen?“ – „Schon“, räumt der Libyer ein und tut zerknirscht, „aber nur dieses kleine Päckchen hier.“ Er reicht es ihr, die Dame lauscht: „Da tickt ja was!“, murmelt sie stirnrunzelnd, denkt ein Weilchen nach. „Das wird wohl ein Wecker sein“, entscheidet sie schließlich und winkt uns durch. Erst vor der Sicherheitsschleuse setzt Wahid seine verspiegelte Pilotenbrille auf, knurrt: „Jetzt wird’s ernst“.

Doch weit gefehlt: Am Metalldetektor hängen Luftballons in der Farbe der amerikanischen Fahne, es herrscht ausgelassene Party-Stimmung. Wahid muss die Beine spreizen, wird aber nicht abgetastet. Auch sein Rucksack schafft’s unbeanstandet durchs Röntgengerät – ein Wunder? „Kein Wunder“, sagt Wahid abfällig, der es wissen muss, „aber gleich wird’s ernst!“

Er ist nervös, sein Schnurrbart hat sich gelöst, hängt quer im Gesicht. Beim Einstieg in die Maschine kommt, was Wahid den „Ironie-Test“ nennt. Wochenlang hat er daran gefeilt, und jetzt ruft er der Stewardess zu: „Gott zum Gruße, Weib, und einmal 65ster Stock bitte!“ Die KLM-Mitarbeiterin schmunzelt, winkt aber ab: „Alt, der Witz.“ Also nehmen wir unsere Plätze ein, Wahid macht sich Notizen, murmelt Gebete, das Flugzeug hebt ab. Als wir die Reisehöhe erreicht haben, meldet sich der Kapitän über Lautsprecher: „Welcome aboard, this is your captain speaking, my name is Mohammed Atta.“ Promptes Gelächter brandet durch die Kabine, Menschen klopfen sich wiehernd auf die Schenkel, manche klatschen Applaus. Wahid bleibt ernst, studiert bereits das Einreiseformular, das jeder Passagier im Flugzeug ausfüllen und anschließend bei der Passkontrolle vorzeigen muss. Bei der Ermittlung einreisender Terroristen hält sich die Supermacht nicht lange mit ausgeklügelten Fangfragen auf. Hier reicht eine entwaffnend einfache Erkundigung: „Have you ever been or are you now involved in terrorist activities? Or in genocide?“ Wahid kaut auf seiner Unterlippe, kreuzt an: „Yes“. Ob das gut geht?

Es geht. Nach der Landung in New York fragt der beamtete Stiernacken von der Einreisebehörde lediglich, wo Wahid in Amerika wohnen wird. Wahid, mit Schweiß auf der Stirn und einem Zucken im Augenwinkel, antwortet: „Im World Trade Center.“ Der Beamte zuckt zusammen, sein Gesicht färbt sich blassrosa, er schämt sich: „Das steht leider nicht mehr. Um ehrlich zu sein: Die Skyline sieht jetzt ziemlich scheiße aus.“

Das war’s. Wahid hat genug gesehen, wird mit der nächsten Maschine wieder zurückfliegen, seinen Artikel schreiben. Angst hat er nur vor der Einreise nach Libyen: „Dann wird’s richtig ernst.“ ANOUK ABD EL FARANQ