Ein leicht surrealer Effekt

Kein selbes, nirgends: Der amerikanische Philosoph Richard Rorty erhielt in Berlin den neu aus der Taufe gehobenen Meister-Eckhart-Preis der Düsseldorfer Identity-Foundation

Jürgen Habermas gelang es nicht. Richard Rorty gelang es nicht. Nicht einmal Kurt Flasch, immerhin Sprecher der Jury des mit 50.000 Euro dotierten Meister-Eckhart-Preises, gelang es, plausibel zu begründen, warum ausgerechnet Rorty am Montag in Berlin diese Auszeichnung als erster Preisträger überhaupt in Empfang nehmen durfte. Zwar ist der Amerikaner einer der wichtigsten lebenden Philosophen und einer der wenigen mit theoretischem Sexappeal. Was eine Leistung ist für jemanden, der weder als auratischer Meisterdenker noch als „irrlichternder Philosophie-Entertainer“ (so Rortys Laudator Habermas in Anspielung auf Sie-wissen-schon-wen) daherkommt, sondern sich bescheiden einen Pragmatisten nennt. Aber Rorty und Meister Eckhart als Brautpaar? Für den Trauzeugen Habermas hatte das einen „leicht surrealen“ Effekt.

Es ging nicht nur ihm so. Weniger auf Grund der Diskrepanz zwischen dem mittelalterlichen Mystiker Eckhart und dem spätmodernen Atheisten Rorty; eher weil die den Preis verleihende Identity-Foundation (Düsseldorf), die sich der wissenschaftlichen Erforschung kultureller und personaler Identitäten widmet, ganz unbefangen den Eckhart-Spruch „Nim Din selbes wahr“ als Motto führt.

Eine der Pointen von Rortys Philosophie ist aber, dass es da gar nichts zu entdecken gibt. Identitäten, ob persönlich oder kulturell, sind für ihn bloß die flüchtigen Effekte wechselnder poetischer Selbstbeschreibungen: Kein „selbes“, nirgends. Rorty selbst jedenfalls durchkreuzte alle vorgetragenen Rationalisierungsversuche mit der lakonischen Bemerkung, er habe gleich nach der guten Nachricht einiges von Eckhart gelesen, aber nicht das Gefühl gewonnen, dass sie verwandte Geister seien.

Für Rorty krönt der Preis dennoch eine zweiwöchige Deutschlandtournee. Aufsehen erregte sein Auftritt beim Afghanistan-Streitgespräch in der Berliner Schaubühne, wo er die These verfocht, der Westen habe von anderen Kulturen nichts zu lernen, vielmehr sei es für alle Menschen am besten, wenn westliche Demokratie, Menschenrechte und Marktwirtschaft auf dem ganzen Planeten verbreitet würden. Fassungslos konstatierten darauf die kulturellen Kader, der vermeintliche Linke Rorty verkläre den Krieg zur zivilisatorischen Mission.

Sowohl Rortys Preisrede als auch Habermas’ Laudatio ließen sich als untergründige Antworten auf diesen Vorwurf verstehen, obwohl Habermas nur mit einem Satz auf Afghanistan zu sprechen kam und Rorty überhaupt nicht. Indirekt war es sogar der ansonsten recht deplatzierte Meister Eckhart, der diesen thematischen Bezug stiftete, indem er Rorty den Anlass zu Ausführungen über die Rolle der Religion in der modernen, säkularisierten Welt gab.

Im Zentrum wieder einmal: die für Rorty zentrale Unterscheidung zwischen privater Autonomie und öffentlicher Solidarität. Ihm zufolge tut es einer Gesellschaft gut, wenn ihre Mitglieder in der Kultivierung ihrer Persönlichkeit so experimentell und ironisch sind wie nur möglich. Die einzige Staatsform aber, die eine solche Lebensweise garantiert, ist die liberale Demokratie. Ironische Selbstrelativierung und Demokratie sind ohne einander nicht zu haben. Die demokratische Solidarität darf daher nicht durch die privaten Exzentrizitäten Einzelner unterminiert werden, das Private und das Politische sind strikt zu trennen.

Und hier kommt die Religion ins Spiel: Gegen diese sei „nichts einzuwenden, solange sie privatisiert ist – solange ein Glaube als vollkommen unerheblich für die öffentliche Politik gilt“. Religion kann zu der von Rorty so sehr geschätzten privaten Selbstvervollkommnung beitragen. Diese aber darf niemand, weder christliche Fundamentalisten im amerikanischen Bible Belt (Rortys Lieblingsfeinde) noch die Taliban, als eine für alle anderen ebenso verbindliche politische Tugend ausgeben, indem etwa Bezug auf eine zu respektierende gemeinsame „Kultur“ genommen wird. Deshalb also haben laut Rorty liberale Demokraten bezüglich ihres politischen Strebens nach einer gerechten Weltordnung nicht von Religionen oder Kulturen zu lernen, sondern nur von anderen Demokraten.

Im ebenso wichtigen privaten Streben nach persönlicher Erfüllung jedoch können sie von solchen Religionen und Kulturen womöglich sehr viel lernen. Spätestens an dieser Stelle entpuppte sich Rortys Rede auch als kritische Antwort der liberalen Ironikerin auf die Friedenspreisrede Jürgen Habermas’, als der Versuch eines weiteren religiös Unmusikalischen, der Religion innerhalb der säkularen Demokratie einen Platz zu sichern.

DAVID LAUER