Zypern vor dem Mauerfall

Das erste Treffen zwischen dem Führer der türkischen und dem der griechischen Zyprioten verläuft überraschend erfolgreich

aus Nikosia JÜRGEN GOTTSCHLICH

„Es ist ein Durchbruch!“ Trotz strömenden Regens strahlt Hasan Hascirer über das ganze Gesicht. „Dieses Treffen könnte der Anfang vom Ende des zypriotischen Elends sein“, hofft er. Als Journalist von Kibris, der größten Zeitung Nordzyperns, ist Hasan seit 20 Jahren durch ergebnislose Verhandlungen frustriert worden. „Doch jetzt“, meint er, „gibt es eine neue Situation.“ Auf den ersten Blick ist die Erklärung, die der UN-Sonderbeauftragte Alvaro de Soto nach dem nur einstündigen Treffen zwischen dem griechischen Zyprioten Glafkos Klerides und dem türkischen Zyprioten Rauf Denktasch gestern in der UN-Pufferzone auf Zypern verlas, nicht besonders spektakulär. Kurz und knapp heißt es da, beide hätten sich geeinigt, Mitte Januar ihre Gespräche unter der Schirmherrschaft der UNO in Zypern fortzusetzen. Die Gespräche sollen ohne Vorbedingungen von einer der beiden Seiten geführt werden und alle Probleme sollen auf den Tisch kommen. Dabei sollen die Gespräche so lange fortgesetzt werden, bis eine Lösung in allen Punkten erreicht ist.

Was sich so einfach anhört, birgt jede Menge Fallgruben. Das beginnt bereits bei der Anrede. Vor einem Jahr verließ Denktasch in New York den Verhandlungstisch, weil er nicht als gleichberechtigter Partner akzeptiert worden war. In dem Statement, das de Soto gestern in der UN-Residenz nahe des alten Flughafens in der Pufferzone zwischen Nord- und Südzypern abgab, heißt es jetzt: „das Treffen zwischen Mr. Glafkos Klerides, Führer der griechischen Zyprioten, und Rauf Denktasch, Führer der türkischen Zyprioten“. Eine Formulierung, die bereits erkennen ließ, dass diesmal keine der beiden Seiten die Gespräche schon an den Formalitäten scheitern lassen wollte.

Darauf deutet auch der zweite Punkt hin. Ab dem 15. Januar, wenn das nächste Treffen stattfinden soll, will man sich auf Zypern zu regelmäßigen direkten Gesprächen treffen, statt in New York einen Boten der UNO zwischen zwei Zimmern hin und her pendeln zu lassen, wie es jahrelang der Fall war.

Diese Gespräche sollen so lange fortgeführt werden, bis es eine gemeinsame Lösung in allen Punkten gibt. Es soll keine Vereinbarung zu einzelnen Streitfragen geben, solange nicht alle übrigen geklärt sind – dahinter steckt die Befürchtung, dass die jeweils andere Seite die Gespräche abbrechen könnte, sobald sie einen Teilerfolg erzielt hat. Damit, so das einhellige Urteil aller Beobachter, könnte nun nach 27 Jahren erstmals wirklich versucht werden, die Teilung Zyperns wieder aufzuheben oder zumindest zu einer friedlichen Zusammenarbeit zu kommen.

Im türkischen Nachrichtensender NTV sagte Denktasch auf die Frage, welchen Eindruck Klerides auf ihn gemacht habe: „Klerides war ruhig und gefasst. Er will ehrlich eine Lösung.“ Er habe eine schriftliche Erklärung auf den Tisch gelegt und zu Klerides gesagt: „Die Jahre vergehen und wir werden nicht jünger. Wenn wir bei unseren bisherigen Positionen bleiben, werden wir wieder zu keinem Ergebnis kommen.“

Schon heute wird Klerides bei Denktasch zum Abendessen vorbeischauen – auf Zypern ein unerhörter Vorgang, liegt doch der letzte Besuch des Zyperngriechen im Norden der Hauptstadt mehr als 20 Jahre zurück. Anfang Januar antwortet Denktasch mit einem Gegenbesuch in seinem Heimatort Paphos im Südwesten der Insel.

Es mag für den 83-jährigen Klerides und den 77-jährigen Denktasch, die beide schon in Genf nach dem Krieg 1974 mit am Tisch saßen, tatsächlich ein Motiv sein, noch zu ihren Lebzeiten zu einer friedlichen Regelung zu kommen. Wichtiger aber ist, dass jetzt auch alle anderen Parteien, die indirekt immer mit am Tisch sitzen, eine Lösung wollen. Das gilt sowohl für die USA, Großbritannien und die EU, die alle vermeiden wollen, einen weiteren Krisenherd im östlichen Mittelmeer zu haben, wenn der griechische Teil Zyperns allein in die EU aufgenommen wird.

Das gilt aber auch für Griechenland und die Türkei. Beide wissen, dass Zypern ihr bilaterales Verhältnis in einer Weise belastet, die dem realen Problem nicht entspricht. Für die Türkei kommt hinzu, dass ein alleiniger EU-Beitritt der griechischen Zyprioten die türkischen Chancen, selbst einmal Vollmitglied des europäischen Clubs zu werden, auf nahe null bringen würde. Trotz markiger Sprüche des türkischen Premiers Ecevit steht Denktasch daher so stark unter Druck wie nie zuvor, jetzt wirklich konstruktiv zu verhandeln.

Und dann sind da noch Leute wie Hasan Hascirer, die Leute, um die es angeblich geht. Fast alle türkischen Zyprioten hoffen sehnlichst auf eine Änderung der gegenwärtigen Misere. Das internationale Embargo gegen Nordzypern zusammen mit der Wirtschaftskrise in der Türkei haben den Nordteil der Insel ruiniert. Wer kann, wandert aus, vor allem die gut ausgebildeten jungen Leute. „Wenn jetzt wieder nichts passiert“, meint Hasan, „ wird es auf Zypern bald keine türkischen Zyprioten mehr geben.“