Schutz für Zwillinge

Urteil des BGH: Wenn wegen eines Arztfehlers die Abtreibung von Zwillingen unterbleibt, können Eltern keinen Schadensersatz verlangen

KARLSRUHE taz ■ Eine Zwillingsschwangerschaft darf nicht aus medizinischen Gründen abgetrieben werden, wenn einer der Föten gesund ist und der andere (nur) körperliche Missbildungen aufweist.

Dies entschied jetzt der Bundesgerichtshof (BGH) in einem tragischen Fall aus Niedersachsen. Die Eltern hatten von zwei Frauenärzten Schadensersatz verlangt, weil sie die Missbildung bei Ultraschalluntersuchungen übersehen hatten. Das heute sechsjährige Mädchen hat keine Beine und einen steifen Arm.

Mutter und Vater hatten argumentiert, dass sie die Schwangerschaft abgebrochen hätten, wenn sie von der Behinderung des Kindes gewusst hätten. Von den Ärzten verlangten sie deshalb die Übernahme der Unterhaltskosten für beide Kinder. Dabei stützten sie sich auf eine in Deutschland übliche und vom Bundesverfassungsgericht 1998 abgesegnete Rechtsprechung.

Danach muss ein Arzt Schadensersatz zahlen, wenn er bei einer vorgeburtlichen Untersuchung oder einer Sterilisation schlampt. Insofern kann auch die Geburt eines Kindes als Schaden gelten – was damals den Protest sowohl der zahlungspflichtigen Ärzte, wie auch von Behindertenverbänden und Kirchen herausforderte.

Um diese Grundfrage wurde im vorliegenden Fall jedoch nicht mehr gestritten. Vielmehr versuchten die Ärzte ihrer Zahlungspflicht mit dem Hinweis zu entgehen, dass eine Abtreibung hier gar nicht zulässig gewesen wäre. Mit dieser Argumentation hatten sie in den Vorinstanzen Erfolg und jetzt auch beim BGH. Die Richter stellten klar, dass im Hinblick auf den „Schutzanspruch des ungeborenen menschlichen Lebens“ eine Zwillingsabtreibung nur unter besonders strengen Voraussetzungen möglich ist.

Diese sei nur in einer „gravierenden Ausnahmesituation der Schwangeren“ erlaubt. Im vorliegenden Fall sei eine solche Lage aber nicht erfüllt, weil der behinderte Fötus „geistig vollkommen gesund“ gewesen sei, betonte die Vorsitzende Richterin. Das behinderte Mädchen könne sich zwar nur im Rollstuhl fortbewegen, doch lasse dies eine „Teilhabe am Leben in Familie und Gemeinschaft“ ohne weiteres zu. Auch den elterlichen Hinweis auf damals drohende Gefahren für die Gesundheit der Mutter ließ der BGH nicht gelten.

Eine Depression im Falle der Geburt eines behinderten Kindes sei noch keine „gravierende Ausnahmesituation“. Das Austragen der Schwangerschaft sei der Frau deshalb rechtlich zuzumuten gewesen, so das Gericht mit Blick auf ein Grundsatzurteil des Verfassungsgerichts. Darin hatte Karlsruhe festgelegt, dass die Pflicht zum Austragen von Kindern bis an die Grenze der „Aufopferung eigener Lebenswerte“ zugemutet werden kann. (Az: VI ZR 213/00) CHRISTIAN RATH