Biedere Sehnsüchte unter dem Latex

Die Öffnung des Blicks: Sexuelle Gewaltfantasien von Frauen sind eines der Themen, denen die Künstlerinnengruppe „Dorothy Vallens“ nachgeht. Im ehemaligen Dominastudio „Rheingold“ breiten sie Facetten eines großstädtischen Erotikreigens jenseits tradierter Geschlechterrollen aus

Pannen bei der Sex-arbeit lassen den Akt nicht selten ins Komische kippen

von RICHARD RABENSAAT

Eine Frau lächelt, dann wird sie geschlagen. Die Ohrfeige verzerrt ihr Gesicht, der Abdruck der Hand auf ihrer Wange verfärbt ihre Haut rot. Nun blickt die Frau auf ihr Gegenüber, wieder lächelt sie. Dann hebt sie die Hand, holt aus zu einem Schlag.

Fünf Fotos, an die Wand geheftet in einem ehemaligen Dominastudio, dokumentieren die Prügelszene. Die barbusige Frau verschwimmt als Schemen in einem nicht bestimmbaren Raum, weiche Pastelltöne tauchen das Geschehen in ein rosiges Licht. Keine Anmerkung erklärt den äußeren Rahmen des Geschehens. So ist der Betrachter auf die eigene Fantasie angewiesen: Vielleicht arbeitete sie im Etablissement, ließ sich die Misshandlung teuer bezahlen? Oder war sie doch eine gutbürgerliche Akademikerin, die versucht in der vom professionellen Handwerk geprägten Atmosphäre neue Winkel ihrer Weiblichkeit zu entdecken?

Auch die strahlend weißen Wände der großbürgerlichen Wohnung des ehemaligen „Atelier Rheingold“ in der Bismarkstraße verraten nichts. Lediglich ein paar Schritte sind es von dort zur Deutschen Oper, die auch thematisch gar nicht so weit entfernt liegt. „Was sich hier abgespielte, hatte sehr viel von einer theatralischen Inszenierung“, erklärt Gudrun Herrbold. Sie ist eine der vier Initiatorinnen von „Dorothy Vallens“, einer neu gegründeten Künstlerinnengruppe, deren Ziel es ist, einen Blick hinter die Klischee behafteten Fassaden tradierter Geschlechterrollen zu werfen. Aktive sexuelle Gewaltfantasien von Frauen, die selten gelebt werden, sind ein Thema. Die aktuelle Fotopräsentation soll lediglich ein Anfang sein, weitere Kunstprojekte sind unmittelbar in Planung.

Die Erkenntnis, dass sexuelle Sehnsüchte sich auf mannigfache Weise ihren Weg an die Oberfläche domestizierter Bürgerlichkeit suchen, ist indes nicht sonderlich revolutionär. Die fränzösische Kunstpäpstin Catherine Millet bekennt freimütig, mit hunderten von Liebhabern kopuliert zu haben und beschert dem Buchmarkt damit einen weiteren Pornobestseller. Und wenn der Sexshop an der Ecke das Andreaskreuz hübsch rot beleuchtet im Schaufenster in gleicher Weise anpreist wie der Gebrauchtwagenhändler seinen Frontspoiler bestückten Ford Fiesta, dann verliert die Offenlegung sexueller Eigenwilligkeiten auch den letzten Anflug spektakulärer Enthüllungsdramatik.

Das weiß natürlich auch Dorothy Vallens. Deshalb geht es den aus der Performanceszene stammenden Künstlerinnen auch nicht um sensationelle Enthüllungen aus der Welt latexverpackter Erotik, sondern um die Öffnung des Blicks für die bunt schillernden Facetten des großstädtischen Erotikreigens. Hier das ordentlich abgelichtete Inventar des Hauses, dort Bilder catchender Frauen – beides arrangiert an den weißen Wänden der wieder zur Immobilie mutierten Einliegerwohnung. Zuvor war der hübsche Parkettboden von einer dicken Gummihaut bedeckt. „Als wir mit den Aufräumarbeiten anfingen, waren wir erstaunt, dass hinter der offensichtlichen Fassade ein ganz biederer Kern zum Vorschein kam“, erklärt Esther Röhrborn. Sie ist amtierende Boxmeisterin von Berlin und Brandenburg, verwahrt sich aber vehement gegen das Klischee der „Peitsche schwingenden Frau“.

Um nicht allein den Geschäftsablauf der Sexarbeiterinnen zu dokumentieren, hat Dorothy Vallens zwar die Räume vor der Ausstellung entkernt, aber: „Die Materialität der Instrumente und das ganze Flair schwebt noch immer hier“, behauptet Gudrun Herrbold. Der Erkenntnis folgend, dass sexuelle Höhepunkte ihren Impuls in den Geschlechtsorganen, ihre letztendliche Ausformung aber im Hirn erfahren, weist Herrbold auf die inszenatorischen Momente beim S/M-Spiel hin.

Diese schildert beispielsweise ein sorgfältig arrangiertes Foto, auf dem eine der Frauen anscheinend mit dem Kunden Details des späteren Handlungsablaufes festlegt. Die vorangehende Besprechung sei oftmals schon deshalb nötig, um Verletzungen vorzubeugen, meint die ehemalige Domina. Dennoch unterliefen gelegentlich Pannen, die nicht selten ins Komische kippten, ähnlich wie ehedem in Monthy Pythons „Personal Service“ sehr hübsch geschildert.

Während der Kunde gut geschnürt mit Knebel im Mund sein selbstgewähltes Martyrium im Wandschrank erleidet, verfolgen die Damen ein Fußballspiel im Fernsehen. Erst am nächsten Tag erinnert sich die Belegschaft des mittlerweile reichlich lädierten Dienstleistungsempfängers.

Dorothy Vallens im Atelier Rheingold, Bismarckstr. 84, bis 13.12., Do - So, 15 - 19 Uhr, Tel.: 312 21 00