dieter baumann über Laufen
: Wenn Manager im Wald piepsen

Er war Jungunternehmer. Er wollte Effizienz. Wie sollte ich ihm erklären, dass man beim Laufen keine Zeit sparen muss?

Es piepst. Schon die ganze Zeit. Die Uhr meines Laufpartners. Er kriegt das akustische Signal einfach nicht abgeschaltet. Das hohe Piepgeräusch macht mich unruhig.

Ich bleibe stehen und lange rüber. „Hier: links unten, länger auf den Knopf drücken.“ Endlich ist wieder Ruhe.

Es ist ein schöner Tag für diese Jahreszeit. Unsere verschwitzten Kleider dampfen. Unten im Tal hängt der Nebel. Hier oben, auf den Höhen des Schwarzwaldes, lacht die Sonne. Ein perfektes Ambiente, um aus dem Alltag rauszukommen. Und zu laufen. Ich betreue für drei Tage eine kleine Gruppe Freizeitläufer.

Das Ziel: ihnen beizubringen, was Laufen ist und auch für sie sein kann – eine Erholung für den Körper, ein Ausgleich, eine Barriere, damit man die Arbeit nicht mit nach Hause nehmen muss.

Wie schnell ist langsam laufen? Das frage ich meine Mitläufer immer als Erstes. 80 Prozent der Leute laufen zu schnell. Damit wird man nicht besser. Die Kunst für den Anfänger besteht darin, so langsam zu laufen, dass der Körper sich entwickeln kann. Die Puls-Uhr wird individuell so eingestellt, dass sie piepst, wenn die Belastung zu groß wird. Bei meinem Mitläufer piepst sie ab 140. Beziehungsweise: sie piepst ja jetzt nicht mehr, und damit ist das Problem für ihn gelöst.

Ich probiere es mit einem sorgenvollen Blick. Er wischt ihn mit einem Lächeln weg. Noch langsamer? Könne er beim besten Willen nicht laufen. „Dann geh ich ja nur noch.“

Er ist Manager. Jungunternehmer. Vor einer Stunde im Seminarraum war er der Erste gewesen, der sich das Gerät umgeschnallt hatte. Total begeistert. Vorsprung durch Technik, das gefiel ihm. Ich hatte ihm das Herzfrequenz-Messgerät aber verordnet, um ihn zu bremsen. Vergebens. Er hetzt schon wieder weiter. Kurz und schnell presst er die Luft in seine Lungen. Ein typisches Zeichen: Er läuft zu schnell.

Ich mahne erneut. Keine Sorge, er würde es doch merken, wenn das Tempo zu schnell wäre. So viel Körpergefühl hätte er allemal. „Nur 160 Puls“, ruft er mir zu. „Das ist mein Wohlfühltempo.“ Seine kurzen, heftigen Atemzüge sagen etwas anderes.

Der Mann braucht dringend eine Gehpause.

Da piepst es erneut. Mein Laufpartner wird langsamer. Aha, endlich wird er vernünftig, denke ich. Er wird aber nicht vernünftig; er fischt aus seiner Tasche ein Handy heraus.

Ich fasse es nicht. Von wegen Ausgleich. Von wegen Barriere zum Alltag. Stattdessen: immer erreichbar, ständig eine Antwort erwartend. Kommunizieren, kommunizieren.Telefon, Fax, E-Mail, alles am Körper.

Ende des Gesprächs. Mein Mitläufer nimmt wieder Fahrt auf. Er wolle sich lediglich seine Arbeit erleichtern, keucht er. Das Problem müsse er jetzt nicht mehr am Montag im Büro klären. Damit habe er Zeit gespart. Man müsse die technischen Möglichkeiten einfach zu nutzen wissen.

„Beim Laufen brauchst du keine Zeit zu sparen“, sage ich. „Du nutzt sie doch.“

Jedenfalls wenn er beherzigt, was jedem Manager wie ein Paradox erscheinen muss: dass ausgerechnet Langsamkeit effektiv ist. Ansonsten müsse er sich nur nach seiner eigenen Maxime richten: die technischen Möglichkeiten nutzen.

Fragend schaut er mich an.

Auf seinem Display zeigt sein Puls jetzt fast 170.

Ich versuche es erklärend: „Dieses kleine Gerät kann dir helfen, dir Zeit zu nehmen.“ Sein Gesicht ist ausdruckslos.

Man muss unterscheiden: Wenn ich zielgerichtet für den Wettkampf trainiere, laufe ich natürlich nicht entspannt. Dann übe ich allerdings auch meinen Beruf aus. Aber manchmal gehe ich auch nur in den Wald, um sozusagen laufend dem Beschleunigungseffekt des Lebens entgegenzuwirken. Ich führe keinen Wettkampf mit mir, ich erhole mich davon.

Ich versuchte es einschmeichelnd: „Den Wettkampf hast du doch sowieso bei deinem Job fast jeden Tag.“

Gehpause. Endlich. Aber nicht aus Vernunft, sondern vor Erschöpfung. Man könne das doch gar nicht vergleichen. „Das ist für mich nicht nur Pillepalle“, keucht er. Wenn überhaupt, brauche er das Laufen als Aggressionsabbau. Und der Pulsmesser könne ihm gestohlen bleiben.

„Die Uhr liefert die falschen Informationen“, murrt er.

„Du erwartest die falschen“, sage ich.

Fragen zum Laufen?kolumne@taz.de

Fotohinweis: DIETER BAUMANN ist 5.000-m-Olympiasieger von Barcelona.