„Die Hamas-Bewegung muss mitregieren“

Der Nahostexperte Mohssen Massarat plädiert für eine palästinensische Regierung der nationalen Einheit unter Einschluss der Islamisten

taz: Die israelische Regierung hat auf die jüngsten Selbstmordanschläge mit massiven militärischen Angriffen reagiert und die palästinensische Autonomiebehörde zu einer den Terrorismus unterstützenden Organisation erklärt. Will Israel die Autonomiebehörde zerschlagen?

Mohssen Massarat: Das läuft darauf hinaus. Es könnte darum gehen, den innerpalästinensischen Konflikt so weit zuzuspitzen, dass es zu einem innerpalästinensischen Machtkampf kommt, sodass am Ende Chaos herrscht. Damit wäre die Voraussetzung für eine erneute Besetzung des palästinensischen Gebiets durch Israel gegeben.

Eine derartige Schwächung Arafats würde Hamas entsprechend stärken. Das kann doch nicht im Interesse Israels sein.

Das kann nicht im Interesse des Friedensprozesses und der Menschen in Israel sein. Es könnte aber eine Legitimation dafür abgeben, erneut das Land zu besetzen, um weitere Anschläge zu verhindern.

Welche Optionen hat der palästinensische Präsident Jassir Arafat in dieser Situation?

Arafat steckt in einem Dilemma. Einerseits ist er nicht in der Lage, Terroranschläge zu verhindern, weil Hamas und Teile der palästinensischen Bevölkerung sich aus dem Friedensprozess ausgeschlossen fühlen. Andererseits erweckt er den Eindruck, er könne die Anschläge verhindern. Arafat darf nicht das Problem kaschieren, dass er nur einen Teil der Palästinenser repräsentiert und von dem anderen, islamistischen Teil nur geduldet wird. Arafat müsste in die Offensive gehen und sagen: wenn es eine Garantie dafür geben soll, dass Terroranschläge unterbleiben, dann muss Hamas mit in eine Regierung der nationalen Einheit aufgenommen werden.

Sie sagen, dass sich ein Teil der Palästinenser aus dem Friedensprozess ausgeschlossen fühlt. Was heißt das?

Damit meine ich Hamas und Dschihad, die im Osloer Prozess aus kurzfristigen Erwägungen beider Seiten ausgeschlossen worden sind. Auf diese Weise wurde eine Eskalation der Gewalt unvermeidlich, die von Hamas ausging und auf israelischer Seite Extremisten auf den Plan gerufen hat, denen letztlich Rabin zum Opfer gefallen ist. Nun ist Arafat an der Reihe. Ein dauerhafter Frieden ist mit einer Ausgrenzung eines Teils der Bevölkerung nicht möglich. Es wäre also sinnvoll, den Fehler von damals zu korrigieren und Arafat zuzugestehen, dass eine Regierung der nationalen Einheit auf der Tagesordnung steht.

Aber Hamas und Dschihad lehnen den Friedensprozess ab.

Derzeit geht es auf palästinensischer Seite darum, die eigene Souveränität oder wenigstens Teilsouveränität zu retten. Daher glaube ich, dass die Bereitschaft der Islamisten zu einer Kooperation mit Arafat vorhanden ist.

INTERVIEW: BEATE SEEL