Das verführte Auge

■ Kulturgeschichte des Sehens – das Focke-Museum zeigt „Wege in die 3. Dimension“

Morgens im Bad, die Gehirnströme sind noch schwach und das Bild im Spiegel ist verschwommen. Das Gesicht geht zum Schrank, sucht die Dose mit den kleinen, in Kochsalz gelagerten Plastikchips. Mit der Öffnung nach oben liegt jeweils ein Chip auf dem ausgestreckten Zeigefinger, während die andere Hand die Augenlider auseinanderzieht. Der Chip geht ins Auge und das Bild im Spiegel wird scharf, bunt und dreidimensional. Das muss die Wirklichkeit sein. Oder ist es nur eine verdammt gute Simulation? So genau weiß das niemand.

Und wahrscheinlich macht es deshalb so viel Spaß, das zu simulieren, was im Allgemeinen für die Realität gehalten wird. Ein möglichst überzeugendes Abbild muss her. Eines zum Eintauchen. Aber so weit sind wir noch nicht. Die Eroberung des räumlichen Bildes fängt an mit der Entdeckung der zweiten Dimension. Und das heißt: Wir starten in der Renaissance.

Die Ausstellung „Das verführte Auge - Wege in die 3. Dimension“ verfolgt chronologisch, wie Künstler und Techniker seit dem 15. Jahrhundert die Welt ins Bild setzen, von den ersten zeichnerischen Versuchen mit der Zentralperspektive über die Guckkästen des 18. Jahrhunderts bis hin zu den neuesten Entwicklungen der Holografie. Neben Zeichnungen und Malerei zeigt die Ausstellung nette Spielereien aus der populären Kultur (damals in den 80ern: der Viewmaster!) und technische Modelle, bei denen Knöpfe und Kurbeln die Interaktion der Besucher mit den Exponaten ermöglichen. Kinderfreundlich solle es sein, so Museumsdirektor Jörn Christiansen, „ein Familienerlebnis“. Und weil sich das Univer-sum Science Center in unmittelbarer Nachbarschaft befinde, habe man sich zur Zusammenarbeit entschlossen: Es wird ein KombiTicket für beide Ausstellungen geben, auf dass sich die Trinität aus Universität, Universum und Focke-Museum zu einer Kulturmeile im Bremer Norden auswächst.

Hehre Ziele - aber immerhin ist es dem Focke-Museum gelungen, bei dieser Ausstellung Service, Entertainment und Anspruch sinnvoll zu verbinden. Man hat sich etwas dabei gedacht, zum Beispiel, dass sich Kunst und Technik symbiotisch weiterentwickeln und dass dabei nicht nur die Kunst der Technik folgt, sondern auch die Technik von der Kunst profitiert. Und man leistet sich am Ende der „Wege in die 3. Dimension“ in einem eigenen Raum eine kleine Ausstellung zeitgenössischer Medienkunst: Studenten der Hochschule für Kunst zeigen kurzweilige Fotoarbeiten und Dieter Jung, selbsternannter „Lichtarbeiter“ aus Köln, möchte mit seinen holografischen Installationen einen „Dialog zwischen Kunst, Wissenschaft und Technik“ führen. Wirklich kontrovers ist sein Dialog nicht - da glitzern die Regenbogenfarben und schweben die Schimmerringe - aber Jung bringt im Gespräch mit der taz auf den Punkt, was die Kunst wohl auf ewig von der Technik unterscheiden wird: „Der Künstler ist dafür verantwortlich, mit der Freiheit des Scheiterns umzugehen.“

Es lässt sich also zurücklehnen, zumindest dann, wenn die Künstler nur daran scheitern, eine Simulation herzustellen. Denn neben einer gescheiterten Simulation gibt es immer noch die eigentliche, die wirkliche Welt. Nur weiß niemand, wie die aussieht. Und das hätten wir eigentlich ganz gerne von den Künstlern erfahren. Klaus Irler

Eröffnung 9.12. 11.30 Uhr. Geöffnet Di 10-21 Uhr, Mi-So 10-17 Uhr