Terrorkrieg und Ferienlager

Grauen und Idyll: Heute ist im Rahmen des Filmprogramms der Wehrmachtsaustellung „Mein Krieg“ zu sehen, ein Film, für den Harriet Eder und Thomas Kufus private Filmaufnahmen vom Krieg zusammengetragen haben

Über die Soldaten, die aus dem Ersten Weltkrieg heimkehrten, schrieb Walter Benjamin in den 20er-Jahren: „Die Leute kamen verstummt aus dem Felde. Merkwürdig war das nicht. Eine Generation, die noch mit der Pferdebahn zur Schule gefahren war, erlebte den Stellungskrieg und stand in einer Landschaft, in der nur die Wolken unverändert waren.“ Der moderne, technisierte Krieg machte sprachlos – daran hat sich wenig geändert. Nach 1945 kam etwas hinzu: die Beteiligung der Wehrmacht am rassistischen Massenmord. Die heimgekehrten Soldaten verkörperten nicht nur einen verlorenen, sondern auch einen verbrecherischen Krieg. Kein Wunder, dass von unseren Vätern so wenig Brauchbares über den Krieg zu erfahren war. Die Redewendung „Erzähl mir nix vom Krieg“ verstand jeder Zehnjährige: Wenn Erwachsene vom Krieg redeten, konnte man sich auf Märchenstunden gefasst machen – das wussten wir schon als Kinder.

Oder haben wir einfach nie genau hingehört? Vielleicht wollten wir, die zweite Generation, ja nicht wirklich wissen, was geschehen war. Vielleicht war uns die Kriegslügerei der Älteren, über die wir uns später moralisch kerzengerade empörten, ganz angenehm: Sie schützte ja nicht nur sie, sie schützte auch uns. Die Kinder wussten, dass die Eltern logen, die Eltern wussten, dass die Kinder wussten, dass sie logen. Das war die stillschweigende Übereinstimmung. So redete man über das Unsprechliche, indem man es verschwieg.

Das mag auch erklären, warum zwar Antifa-Gesinnung zur Grundausstattung der zweiten Generation gehörte, sich aber sehr lange niemand so richtig dafür interessierte, wie der Krieg im Osten eigentlich konkret und alltäglich aussah. 1990 haben Harriet Eder und Thomas Kufus etwas Einfaches und Einleuchtendes getan: Sie haben recherchiert, welche privaten Filmaufnahmen vom Krieg im Osten existieren. In „Mein Krieg“ sehen wir sechs Exsoldaten, die im Osten filmten – eine merkwürdige Mischung aus Grauen und Idyll, Ferienlager und Terror. Bilder vom Baden im Schwarzen Meer, von Panzern vor Sonnenblumenfeldern, von Leichen, die in Massengräber gekippt werden. Man hört viele der üblichen Rechtfertigungen: „Wir haben als deutsche Soldaten der Heimat gedient“, sagt einer. „Ich wollte das entschlossene Gesicht des deutschen Soldaten vor der Schlacht für die Nachwelt aufbewahren“, ein anderer. Manchmal stocken die Erzählungen, und in diesen Pausen, im Auslassen, im Zögern scheint am ehesten etwas Wahrhaftiges zum Vorschein zu kommen. Die Partisanen wurden damals mit Handgranaten „erledigt“, sagt einer. Und, fast gestammelt: „Das belastet mich nicht.“ „Partisanen“, das waren oft, sehr oft Zivilisten.

Die Wehrmacht ließ 1941 mehr als drei Millionen sowjetische Soldaten sterben – an Hunger, Durst, Krankheiten. Nicht die SS, die Wehrmacht. Eines der grausamsten Bilder in „Mein Krieg“ zeigt Tausende von sowjetischen Gefangenen unter freiem Himmel. Ein paar prügeln sich um ein paar Tropfen Wasser. Wir sehen die schier endlose Reihe von Menschen, die sterben werden, weil deutsche Generäle Russen für minderwertig halten.

„Das Wort töten“, sagt einer der sechs deutschen Soldaten, „ist bei uns Soldaten nicht vorgekommen.“ So war es. Unter Verdrängung stellt man sich landläufig vor, dass etwas einmal Gewusstes aus dem Bewusstsein getilgt und abgespalten wird. Das stimmt vielleicht nicht. Das Schweigen dieser Generation begann nicht nach 1945 in westdeutschen Wohnzimmern. Das Verstummen begann im Moment der Tat. STEFAN REINECKE

„Mein Krieg“, BRD 1989/90, ist heute, 19 Uhr, im Rahmen des Begleitprogramms zur Wehrmachtsaustellung zu sehen, im Arsenal im Filmhaus, Potsdamer Platz, Tiergarten. Im Anschluss führt Ulrich Gregor ein Gespräch mit Thomas Kufus. Am 21. 12. ist im Arsenal Thomas Kufus’ „Blockade“, BRD 1991, zu sehen: ein Dokumentarfilm über den Terrorkrieg der Wehrmacht gegen Leningrad