Feindschaft verbindet

Der Turban steht für Angst und Schrecken, Freiheit und Aufklärung, Fort- wie Rückschritt. Vor allem aber ist er ein interkultureller Botschafter, der sich tief im Abendland verwurzelt hat

von DIETMAR BARTZ

Am 25. November 1925 bekamen die Türken ein Problem. Mit dem „Hutgesetz“ verbot ihnen Staatspräsident Kemal Atatürk kurzerhand das Tragen von Turban und Fes. Voller Bewunderung erzählten seine Anhänger, dass ihr Führer gar am liebsten ein Dorf hätte bombardieren lassen, als er dort einen Turbanträger sah. Turbane galten dem Reformator und Staatsgründer als Inbegriff kultureller Rückständigkeit gegenüber den europäischen Nachbarn.

Zwangsmodernisierung vom Bosporus bis zum Ararat: Am Tag nach dem Hutgesetz dekretierte Atatürk den 24-Stunden-Tag und den internationalen Kalender, am 30. 11. erloschen alle Ordenstitel, und die Klöster aller Religionen mussten schließen. Tempo, Tempo! Ein lateinisches Alphabet ersetzte das arabische, der Staat verbot die islamische Rechtsprechung und die Vielehe, erlaubte die Scheidung und das Frauenwahlrecht, verlangte Familien- statt der Vaternamen und die Anwendung der metrischen Maße und Gewichte.

Nur – was war das alles gegen das Problem, sich einen Hut zu besorgen? Erst am 30. August hatte Atatürk sein Dekret angekündigt. Die wenigen Hutgeschäfte in der Türkei waren sofort ausverkauft. Europäische Warenhäuser räumten ihre Lager und schafften die unverkäuflichen Altbestände per Bahn und Schiff in die Türkei: Homburgs und Bowler, Panamahüte und Prinz-Heinrich-Mützen – Händler boten an, was immer auf einen Männerkopf passte.

Dennoch überstieg die Nachfrage das Angebot bei weitem. In Istanbul erlegte der Präfekt den Hutverkäufern Grenzen für ihre Gewinnspannen auf. Groß war auch die Ratlosigkeit, wie ein Hut zu tragen und zu pflegen sei, so dass die Zeitungen belehrende Artikel brachten und Lesekundige sie an Straßenecken den Analphabeten vortrugen. Auch darüber, was überhaupt ein Hut war, angesichts der zweifelhaften Produkte, die da aus Europa in die Türkei schwappten: Kappen, Hauben, Barette, sogar Frauenhüte. Entscheidend, so die Blätter, war die Krempe.

Sie bot einen physischen und einen kleidungspolitischen Vorteil: Sie schützte die Augen vor der Sonne – und sie verhinderte Kompromisse und Tricksereien. Denn eine Krempe passte weder zur roten Filzkappe mit schwarzer Troddel aus der marokkanischen Stadt Fes noch zum Turban, einem Tuch, das um den Kopf gebunden wurde und ein verziertes Käppchen oder eben einen Fes umschloss. Und schon gar nicht taugte die Krempe bei der Erledigung der islamischen Pflicht, beim Gebet gen Mekka mit der Stirn den Boden zu berühren. Das produzierte weitere knifflige Fragen, bis sich kleine Kappen durchsetzten, die zu religiösen Anlässen aufgesetzt wurden.

Aber nicht bei allen. Sofort nach dem 25. November wanderten die ersten Fes- und Turbanträger als Standardbestrafung für drei Monate ins Gefängnis – fünfzehn Jahre erhielt, wer „Anti-Hut-Propaganda“ betrieb. Passenderweise hatte Atatürk soeben wegen kurdischer Aufstände gegen den neuen nationaltürkischen Staat das Kriegsrecht ausgerufen, so dass die Unhutmäßigen aller Völkerschaften von Soldaten ergriffen und von Militärrichtern abgeurteilt werden konnten. Die Kriegsjuristen verhängten Todesstrafen über neunzehn Festräger, die Aufstände angezettelt haben sollten; allein in Erzurum wurden 114 Männer zu Zwangsarbeit verurteilt. Noch für 1947 meldet die Statistik sechshundert Inhaftierungen. Bis heute steht das Tragen von Fes oder Turban in der Türkei unter Strafe.

Atatürk zielte auf das Identitätsstiftende, das Symbolische der Kopfbedeckungen. Das europäische Modell wirkte demokratisch-egalitär, weil sich kostbare Männerhüte erst aus der Nähe von Billigprodukten unterscheiden. Vor allem der Turban hingegen personifiziert Ungleichheit. Bis hin zu den Prinzen, die Atatürk zum Verlassen des Landes zwang, ließ sich auf die Türkei übertragen, was im Jahr 1900 der Forscher Franz von Schwarz aus Turkestan berichtete, wo das Turbantuch Tschalma hieß: Es spiele dort „ungefähr dieselbe Rolle wie bei uns der Frack und der schwarze Gesellschaftsrock. Als die vornehmste gilt die aus Kaschmirstoff gewundene. Die Prinzen tragen mitunter auch Turbane aus Goldbrokat. Nach diesem kommt die blendend weiße, aus feinen indischen oder englischen Gazestoffen hergestellte Tschalma der [...] Aristokratie unter der mohammedanischen Bevölkerung. Die Kaufleute, Handwerker und sonstigen Bürger tragen gewöhnlich blau oder rot gestreifte Tschalmas aus gröberem oder feinerem Baumwollstoffe. Abgesehen von der Farbe und dem billigeren oder kostbareren Material hängt auch noch der Umfang der Tschalma von dem gesellschaftlichen Range des Trägers ab.“

Vor allem aber war der Turban selbst Träger – religiöser Bedeutung nämlich. Nach der Einführung des Fes im Jahr 1828 für alle Beamten des Osmanischen Reichs hatten die geistlichen Amtsträger ihr Turbanrecht behalten. Atatürk erkannte ganz richtig, dass streng gläubige Muslime mit diesem Kleidungsstück zugleich das fundamentalistische Prinzip ausdrückten, die Religion sei dem Staat übergeordnet. Es stelle sogar den weltlichen, den „laizistischen“ Staat insgesamt in Frage. Aber auch als einfaches Zeichen der Gottergebenheit war das Kopftuch in vielen muslimischen Ländern selbstverständlich. Seltsamerweise taucht das Wort nicht im Koran auf, öfter jedoch in den „Ahadith“, den Sammlungen der Sprüche Mohammeds. „Der Turban ist deine Grenze zwischen Glauben und Unglauben“, wird der Prophet zitiert, und: „Am Tag des Urteils soll ein Mensch eine Erleuchtung bekommen für jede Windung des Turbans um seinen Kopf.“

Zumindest nach der schiitischen Überlieferung wand Mohammed seinen eigenen Turban, der den Ehrennamen Sahab (Wolke) trug, um das Haupt seines Schwiegersohnes Ali und verkündete, dass dieser Kopfschmuck den Herrschaftssymbolen der Könige und Päpste gleichgestellt sei: „Ali, die Turbane sind die Kronen und Tiaren der Araber.“

Wer den Hadsch unternommen hatte, die Pilgerreise nach Mekka, durfte für kurze Zeit ein grünes Tuch umlegen – die Farbe war sonst nur für die Turbane der Scherifen erlaubt, der direkten Nachfahren Mohammeds. Der Prophet selbst soll bei seinem Einmarsch in Mekka einen schwarzen Turban getragen haben, nach anderen Schilderungen einen Helm. Islamische Rechtsgelehrte – immer auf der Suche danach, aus Widersprüchlichem die Spannung zu entfernen – erklären die Wahrheit so: Erstens habe Mohammed zwei Turbane gehabt und nicht nur einen, vor allem aber habe er sicherlich den Turban unter dem Helm getragen, weil ihn das Metall gedrückt habe.

Dabei war der Turban alles andere als ein Exklusivaccessoire der Muslime. Er schmückte auch Juden und Christen in der arabischen Welt – und bis heute ist er in Indien unter Hindus häufig und bei Sikhs zwingend vorgeschrieben. Als besonderes Merkmal zur Abgrenzung gegenüber den anderen Religionen gilt deswegen oft das Käppchen, um das der Turban gewunden ist – Mohammed soll ein weißes getragen haben. Umgekehrt haben viele zentralasiatische Völker auch nach Jahrhunderten in islamischem Glauben keinen Turban getragen, sondern sind bei ihren Fellmützen und Filzkappen geblieben.

Und schließlich ist der Turban sehr viel älter als der Islam. Das Terrakottafigürchen einer Frau aus der Harappa-Kultur am Indus, deren Haar mit einem Turban bedeckt ist, ist fünftausend Jahre alt (siehe kleines Foto Seite V). Die Kreter kannten den Turban um 1700 v. Chr. Die Altägypter schrieben ihn „pjr“, und Volkskundler können sich bis heute weder die für sie erstaunliche Ähnlichkeit mit der nordpakistanischen Bezeichnung „pugri“ erklären noch die nur in diesen beiden Regionen herrschende Sitte, ihn bei Trauer abzunehmen. Dass der Turban in verschiedenen Kulturräumen so populär war, lässt sich wohl mit seiner Multifunktionalität erklären: Er diente nicht nur als Staub- und Sonnenschutz, sondern auch als Seil, Serviette oder Stauraum für Kleingerät. Durch eingesteckte Blumen und angeheftete Broschen ließ er sich außerdem schmücken und variieren.

Die Mesopotamen und Chaldäer im Zweistromland, dem heutigen Irak, betrieben in den Jahrtausenden vor der Zeitenwende einen ausgesprochenen Haarkult, so dass die Turbane dort nur klein waren. Und doch trugen sie dazu bei, ihre Träger attraktiv zu machen, wie Ezechiel im Alten Testament berichtet. Seine Tochter Oholiba, den Männern äußerst zugetan, sah – gemäß Übersetzung der Bibelgesellschaft – „nämlich Wandbilder von Babyloniern, die prächtige Gürtel trugen und eine Binde um den Kopf, unter der ihr langes Haar hervorquoll, lauter Offizierstypen. Als sie ihre Bilder sah, war sie sofort für sie entbrannt . . .“

Der Turban erfreut sich aber auch der ausgesprochenen Wertschätzung Gottes. Der weist Moses an, dem Obersten Priester Aaron einen Turban als Ausweis seiner Würde anzufertigen, und verlangt: „Lass ein kleines Schild aus reinem Gold machen und darauf eingravieren: ‚dem Herrn geweiht!‘ Es soll mit einer blauen Schnur vorn an Aarons Turban befestigt werden, so dass es über seine Stirn hängt.“ Beim alttestamentarischen Zacharias galt der Turban als Symbol der Reinheit und Spiritualität, bei Jesaia als Zeichen von Würde und Selbstrespekt, und bei Hiob drückte er Gerechtigkeit aus.

Eine Sonderentwicklung ist wohl der Aufstand der „gelben Turbane“. Mit diesem Erkennungszeichen bildeten Verschwörer in China einen Geheimbund, der im Jahr 184 gegen hohe Steuerlasten losschlug. Mit immer neuen Abgaben finanzierte die Östliche Han-Dynastie ihre militärische Expansion und mancherlei Forschungen. Die Gelbturbane scheiterten, doch immerhin brachte das befehdete Regime auch das Material hervor, auf dem Revolte und Kopfbedeckung überliefert wurden – das Papier.

Über Europa kam der Turban in Wellen – und diente 1.300 Jahre lang abwechselnd als Ausweis der Kultur, des Schreckens und des Modischen. Kaum ein anderer Gegenstand taugt so sehr als Beleg für die These des israelischen Militärhistorikers Martin van Creveld, dass bewaffnete Auseinandersetzungen oft mit diskreten Annäherungsprozessen einhergehen. Feindschaft verbindet, postuliert er: Je länger ein Konflikt dauere, desto mehr Strukturähnlichkeiten ließen sich zwischen den Gegnern feststellen.

Einige Medienleute haben van Crevelds These auf die beiden Gegenspieler des Jahres 2001, US-Präsident Bush und Ussama Bin Laden, angewandt und sich damit die Finger verbrannt. Tatsächlich verlaufen die Annäherungen subtiler, nämlich aufgrund einer Bejahung, vor allem als Kulturimport und -export. Und da zeigt sich der Turban als interkultureller Botschafter, der sich tief im Abendland verwurzelt hat.

In Süd- und Westeuropa wird der Turban mit dem Frühmittelalter bekannt. Die Modernisierung beginnt mit einem Einmarsch: Schon 711, keine achtzig Jahre nach Mohammeds Tod, setzt der arabische Heerführer Tarik von Marokko aus nach Spanien über. 715 erreicht ein arabisches Heer Narbonne. In Südfrankreich und Süditalien etablieren sich hundert Jahre fortdauernde islamische Herrschaften.

Fast überall wird die Machtfrage zwischen Nord und Süd im islamischen Sinn beantwortet – Papst Johannes VIII. zahlt gar um 875 herum für zwei Jahre Tribut an die Kalifen in Bagdad! Nach Osten verläuft die muslimische Expansion ebenso schnell wie nach Westen. 751 wird Taschkent islamisch, und turbantragende arabische Kaufleute tauchen überall entlang der alten Fernhandelsstraßen von China nach Europa auf. Zu dieser Zeit verbreitet sich im christlichen Europa die Ansicht, mit Ausnahme der eigenen Länder herrsche der Islam wohl in der ganzen Welt. Was gar nicht so schlimm war, weil Christen ihre Religion frei ausüben durften. Zudem waren die arabischen Lokalmachthaber in Europa beliebte Bundesgenossen der rivalisierenden christlichen Herrscher.

Die Modernisierung bekommt einen arabischen Namen, die Iberische Halbinsel wird zu „al-Andalus“, für fünf Jahrhunderte der kulturelle Kern des westlichen Mittelmeerraums, Zentrum der Naturwissenschaften, Medizin und Kunst. Hygiene, mit dem Turbantragen eng verknüpft, ist ein gutes Beispiel für den Fortschritt. Eine Delegation Ottos des Großen kam aus dem Staunen nicht heraus, als sie 960 die Halbmillionenstadt Cordoba mit ihren über dreihundert heißen Bädern und den gepflasterten, nachts beleuchteten Straßen besuchte. Edle Stoffe und Sauberkeit waren selbstverständlicher Ausdruck verfeinerter Sitte. Umgekehrt urteilte der Gelehrte at-Tartuschi 970 über die Christen: „Du siehst nichts Schmutzigeres als sie. Sie reinigen und waschen sich nur ein- oder zweimal im Jahr mit kaltem Wasser. Ihre Kleider aber waschen sie nicht, seitdem sie sie angezogen haben, bis sie in Lumpen zerfallen.“

Nach einer Weile aber, weil in den Städten und Häusern weder Wüstensand noch Sonnenbrand drohen, beginnt der Kulturaustausch. Die herrschende Oberschicht in den andalusischen Kalifaten legt den Turban ab, bei der christlichen Bevölkerung hingegen wird er schick. Im Gegenzug übernehmen die Araber militärische Kniffe und neue Foltermethoden. Noch deutlicher wird die wechselseitige Beeinflussung, als sich die Kreuzritter für zwei Jahrhunderte im Heiligen Land festsetzen.

Am Beginn steht erst einmal ein Blutbad. 1099 schlachten die Christen die gesamte muslimische Bevölkerung Jerusalems ab; später rächen sich die Muslime mit ähnlichen Massakern. Aber darauf beschränkt sich die Annäherung nicht. Die Kreuzfahrerei bringt die Eroberer über viele Jahre in einen intensiven Kontakt mit arabischen Ärzten, Mathematikern und Architekten. Jüdische Gelehrte übersetzen viele Lehrbücher aus dem Arabischen ins Lateinische – gegen den Widerstand der Kirche, die Gottes Hand und nicht Naturgesetze am Werk sehen will. Nicht nur im Kopf, auch am Körper kommt es zu Dynamik. Die dünne fränkische Oberschicht, die sich in Palästina etabliert, war spartanisches Leben gewohnt und kannte kaum mehr als grobes Leinen, Felljacken und gepanzerte Mäntel. Nach und nach lernen die Christen die zum Klima Palästinas passenden Stoffe, Möbel und Kleider der Araber schätzen. König Balduin von Jerusalem zieht den Kaftan dem Kettenhemd vor – und den Turban dem Helm.

Das alles nehmen die Kreuzritter mit, als die Heere des Sultans sie 1291 endgültig vertreiben. Angeregt schon vom Kulturimport früherer Rückkehrer, herrschte bereits seit 1200 in der Provence und im tonangebendenen französischen Burgund eine neue höfische Mode: Der Herr trägt Turban mit über die Schulter herabfallenden Enden und den gleichfalls den Arabern abgeschauten Bart, die Damen erhalten Schleier aus durchsichtiger Rohseide, Gaze genannt – von arabisch gazz. Die „gotische Tracht“ verbreitet sich beim Adel ganz Europas und auch der Minnesang, der direkt auf dem arabischen Ideal der „gnädigen Frau“ beruht – während nach dem Christenmodell die Frau dem Manne untertan war. Als sich die feine Gesellschaft von Paris und London, Augsburg und Venedig der nächsten Mode zuwendet, werden die Kopfbedeckungen beim Volk populär. Noch um 1520 zeichnet Albrecht Dürer kaum einen Bauern, der nicht Turban trägt.

Dürer wie auch Luther kannten das Wort aber noch nicht – das Stück hieß im ganzen deutschen Sprachraum „Kopfbund“. Erst das türkische Vorrücken auf dem Balkan und im Mittelmeer und die Heimkehr von Unterhändlern und Reisekaufleuten verbreiteten den Begriff. Aber dann geht es Schlag auf Schlag.

Auf Deutsch taucht das Wort erstmals 1572 in „Schiffahrt und Raisz in die Türckhei“ auf, dem aus dem Französischen übersetzten Bericht von Nicolas de Nicolai: „und het ein grossen heidnischen bund auff, von jnen tulbant geheissen“. Die „Hoffhaltung des türckischen Keisers“ von 1573 beschreibt „die türckischen hüth, welche sie tolopam nennen“. Und Hans-Ulrich Krafft, ein Händler, der in Syrien gefangen war, sah 1577, dass „ein grosszer, faiszter man in einem langen rotten rockh vnd mit einem weyssen türckhischen duliban oder bund bedöcktt“ war.

Schnell lernen die Europäer unterscheiden. Die Perser haben „hinden rotfarbe tüchlein angehefft“, die Inder „einen gestriemten tulband von viel färbichter seyden wie auch von gold auf dem weiszen grund“. Johann Christoph Beer ist von der Pracht beeindruckt: „die manns-personen, insonderheit die wolhabend und reich sind, gehen nach ihrer landesart ziemlich stattlich gekleidet mit köstlichen tulbanden auf ihren häubtern.“ Adam Olearius warnt jedoch vor Äußerlichkeiten: „Eines Mannes Haupt muss voll Gehirn und Verstand sein, und nicht ausgeziehret mit einem Tulband voller Edelgesteine.“

Zwischen der Eroberung Konstantinopels durch die Türken 1453 und deren Belagerung von Wien 1685 ist Europas Herrscherhäusern nicht nach orientalischer Mode. Wie der Turban nicht nur zum Symbol des Fremden, sondern auch des Feindlichen wird, ist an der Arbeit der spanischen Maler zu erkennen. Turbane illustrieren zunächst schlicht die Angehörigen der islamisch-arabischen Minderheit, beginnen dann jedoch, auf den exotischen Ausländer zu verweisen.

Vor allem bei der Darstellung von Wunder- und Rettungstaten wandelt sich der Einzelgänger aus der Ferne zur bedrohlichen Gestalt. So vollziehen die Maler die Politik nach: 1492 fällt das letzte arabische Königreich Granada; die spanischen Herrscher verbieten Judentum und Islam und sorgen für die Massenvertreibung der Mauren („Mohren“). Gefallene oder gefesselte Mauren am Bildrand tragen verrutschte, schmutzige, blutbefleckte Turbane – die „Maurentöter-Malerei“ setzt ein.

Als 1609 auch alle Morisken, die zum Christentum konvertierten Mauren, nach Nordafrika ausgewiesen werden, beginnt ein besonders schäbiges Kapitel der Kunstgeschichte. König Philipp IV. von Kastilien schreibt für seine Madrider Hofmaler einen Wettbewerb aus. Die Belohnung bekommt, wer die brutale Zwangsverschiffung der Morisken in ein möglichst mildes Licht setzt – Sieger wird Velázquez. Aber auch seine unterlegenen Kollegen erhalten Aufträge für Bilder von der angeblich friedlichen Moriskenvertreibung, die in Kirchen und Palästen aufgehängt werden.

Ein positives Image bekommt der Turban erst wieder, als habsburgische Truppen die Türken auf dem Balkan das gesamte 18. Jahrhundert hindurch wieder nach Südosten zurückdrängen. In der zeitgenössischen Literatur schlägt sich die Erleichterung nach überstandener Türkengefahr als „Maurophilie“ nieder. Die wohlwollende neuerliche Beschäftigung mit orientalischen Dingen drückt zwar ein arrogantes Überlegenheitsgefühl aus, bereitet aber zugleich eine neue Turbanmodewelle vor. Als die Französische Revolution 1789 die Kleidung demokratisiert, indem sie den Schlichtheitszwang für den bürgerlichen Stand aufhebt, beginnen Damenzeitschriften wie das Journal des Dames et des Modes den „maurischen Stil“ zu propagieren.

Der Turban ist plötzlich Symbol des Befreitseins und gerät sogar auf eine Zehndollarmünze, die von 1795 bis 1804 in den mit Frankreich sympathisierenden USA geprägt wird (siehe Foto). Als Napoleon 1798 Ägypten erobert, die Pyramiden erforschen lässt und auf Syrien vorstößt, wird in Europa der Frauenturban zum modischen Muss. Der Stil der Zeit erhält einen napoleonischen Namen: Empire, nach der Kaiserkrönung von 1806, und hält sich bis tief ins 19. Jahrhundert.

Auch Deutschlands Dichter beschäftigen sich mit dem Orient, allen voran Goethe, der im „Faust II“ allegorisiert: „Das Würdige beschreibt sich nicht. Doch das gesunde Mondgesicht, ein voller Mund, erblühte Wangen, die unterm Schmuck des Turban prangen“. In seinem „Westöstlichen Diwan“ erklärt Goethe den Turban gar zur Gnade (siehe Randspalte). Der Revolutionär Ferdinand Freiligrath hingegen spöttelt: „Lange waren wir in fremden sandbedeckten heißen Ländern, wo in weiten Kaftanhemden träge Turbanträger schlendern.“ Den gelegentlich holprigen Spätromantiker Friedrich Rückert hingegen haben seine vielen Nachdichtungen aus dem Arabischen nachsichtig gemacht: „Dir selbst und Gott getreu und allen Menschen gut, dann trage, wie du magst, Turban, Kapp’ oder Hut.“

Für den Turban entscheidet sich die Mode erst wieder im Art déco der Zwanzigerjahre, nicht mehr frisch gebunden, sondern fest zusammengenäht. Kurze Zeit drücken Frauen damit Protest gegen die ästhetischen Konventionen der zeitgenössischen Kleidung aus. Doch für die Glamourgirls wird er reiner Kopfschmuck, um Weiblichkeit zu kodieren. So ist es bis heute geblieben, bisweilen gilt er als altmodisch, dann macht ihn eine Diva wieder schick: Die Popsängerin Madonna tritt gelegentlich mit ihm auf. Die größte Käuferinnengruppe heutzutage, heißt es im Fachgeschäft, sind Frauen, die ihn nach einer Chemotherapie mit Haarausfall tragen. Und seine profanste Verwendung hat er wohl als Requisite von Astrologen und Zukunftsdeutern sowie als Duschturban erreicht.

Der Anschlag auf das World Trade Center in New York und die mühsam eingedämmte Rhetorik von „Kreuzzug“ und „Kampf der Kulturen“ hat im Westen alte Bedeutungsschichten des Turbans wieder freigelegt – das Fremde, das Angsteinflößende, das Irrationale. Auch das Bekannte scheint wieder auf und hat bereits eine Art Neomaurophilie ausgelöst. Das über historische Zeiträume entstandene Vertrautsein mit den islamischen Mächten und ihren Symbolen zeitigt Folgen: Die Regierungen auf dem europäischen Kontinent haben sich nicht so schnell den US-Militäraktionen gegen die Taliban und Bin Laden angeschlossen wie Großbritannien mit seinem Kolonialverhältnis zum Orient. Kein Wunder, dass Mitteleuropäer bei der Vermittlung in Nah- und Mittelostkonflikten gefragt sind.

DIETMAR BARTZ, 44, ist taz-Redakteur im Ressort Meinung und trägt Kopfbedeckungen nur im Winter. Im mare -Heft 25 beschrieb er die Islamisierung des Mittelmeerraums