Einsame „Erdlinge“

Poetisch und bewegend: Robert Lepages Soloperformance „The far Side of the Moon“ als Schauspielhaus-Gastspiel auf Kampnagel  ■ Von Karin Liebe

Zum Schluss ist man diesem Mann einfach nur dankbar. Dankbar für ein wunderbares Theaterereignis, das voller Phantasie ein geschichtliches Ereignis wie den früheren Wettlauf in der Weltraumfahrt zwischen den USA und den Sowjets mit der persönlichen Geschichte der Konkurrenz eines kanadischen Brüderpaars verbindet.

Und man staunt, wie so viel Kreativität in einem einzelnen Künstler stecken kann. Denn der Kanadier Robert Lepage ist Schriftsteller, Schauspieler, Regisseur und Bühnenbildner in einer Person, und dass solch ein Multitalent auch noch bescheiden bleibt, ist schon ein kleines Wunder. „Ich hoffe, dass es mir trotz mancher Unbeholfenheit gelingt, Sie mit meiner verrätselten Geschichte zu berühren und in Ihnen etwas von der Sehnsucht nach dem Mond wieder zu erwecken“, schreibt Lepage im Programmheft zu seiner Soloperformance The far side of the moon – ein Gastspiel des Hamburger Schauspielhauses, die aus technischen Gründen auf Kampnagel stattfindet. Dass diese Bescheidenheit nicht eitle Masche ist, merkt man spätestens bei seiner Reaktion auf den begeisterten Schlussapplaus. Da steht Lepage, 43, wie ein Schuljunge auf der Bühne, der sich zwar sehr über den ers-ten Preis bei „Jugend forscht“ freut, dem der Gewinn aber gleichzeitig furchtbar peinlich ist.

Auch Philippe, die Hauptfigur von The far Side of the Moon, ist solch ein bescheidener, zugleich etwas linkisch wirkender Mensch, dem sämtliche Sympathien sofort zufliegen. Im Gegensatz zu seinem jüngeren Bruder André, der im Fernsehen als Wetterfrosch Karriere gemacht hat, ist er ein echter Loser: mit seinen schon 42 Jahren immer noch ewiger Doktorand der Kulturphilosophie. Aus notorischer Schüchternheit hat er sogar alle Lehraufträge an der Universität aufgegeben.

Seine ganze Leidenschaft gilt der Weltraumforschung, auch seine Doktorarbeit schreibt er über das Verhältnis zwischen Mensch und Weltall. Beim Bügeln sieht er zufällig ein Interview über das S.E.T.I.-Programm, das die Bevölkerung dazu aufruft, per Videos Botschaften ins Universum zu schicken Wie Philippe Videoaufnahmen für Außerirdische dreht, ist einfach grandios dargestellt. Mit großem Ernst vollführt er einen Rundgang durch seine leere Wohnung und verdeutlicht damit das einsame Privatleben eines „Erdlings“. Die Stellung der Erde im Sonnensystem stellt er durch eine Orange und mehrere Murmeln dar. Eine leise Komik durchzieht diese Szenen, doch keine Sekunde denkt man: Was für ein Spinner! Lepage führt die Weltraumeuphorie seines Protagonisten zärtlich vor und macht keinen Hehl daraus: Es ist auch die seine, die weit in die Kindheit der sechziger und siebziger Jahre zurückreicht, als die ersten Kosmonauten und Astronauten ins Weltall starteten.

Trotz vieler historischer Film-einblendungen und Tonaufnahmen kommt dabei aber kein Pathos auf. Im Gegenteil, Lepage weiß durch eine Vielzahl absurder, skurriler, phantastischer Einfälle eine von leiser Ironie geprägte Euphorie zu erzeugen. Alltagsgegenstände verwandelt er in Weltall-Szenarien. Eine Saftflasche plus hochkant gestellter Chipsrolle startet vom Tisch wie eine Rakete, das Bullauge einer Waschmaschine wird zur Einstiegsluke in eine Raumkapsel. Und ein Bügelbrett funktioniert der Solokünstler durch mehrmaliges Umdrehen zum Fitnesscenter oder zum Mofa um. Ein Feuerwerk an Einfällen, das durch Lepages subtiles Spiel aber nie zur bunten Show verkommt.

Eine leise Wehmut prägt das ganze Geschehen. Da ist die kürzlich verstorbene Mutter der Brüder, die einen Goldfisch hinterlässt – und vielleicht Selbstmord begangen hat. Und da ist das von Konkurrenz geprägte Verhältnis der Brüder zueinander, die Lepage federleicht und atemberaubend authentisch als zwei völlig unterschiedliche Persönlichkeiten darstellt. Ein Gesamtkunstwerk!

Nur noch am Sonnabend, 20 Uhr, Kampnagel