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Die Flut der kleinen Dinge

Kinder sind nicht nur zur Weihnachtszeit Adressaten für Geschenke aller Art. Über eigenen und anverwandten Konsumrausch sinniert ■ Mama Machtlos

Die Nichte hat schon elf Barbies. Die Waschsalon-Barbie mit eigener Waschmaschine, die Engel-Barbie, die Arielle-Barbie, die Hochzeits-Barbie und diejenigen, denen sie täglich neue Namen gibt. Die Puppen werden gekämmt, gewaschen und gekleidet, manchmal werden ihnen auch die Haare geschnitten, „meine Tochter spielt richtig viel damit“, berichtet die Mutter.

An der Barbie-Front gibts also kein Problem. Als Tante könnte ich noch die neue Barbie zum Schminken dazuschenken, sagt die Nichte. Aber ansonsten macht Weihnachten ihre Mutter ziemlich ratlos. “Jedes neue Geschenk nimmt viel Platz weg“, klagt sie in Gedanken an die große Verwandtenschar und die kleine Wohnung. „Aber wenn nichts geschenkt würde, wäre es auch traurig.“ Daran würde sich auch keine Oma halten. Meist käme ihre Tochter schon vom regulären Großelternbesuch mit zwei Plastiktüten voller Sachen zurück. Reiseandenken, lustige Hüte, Lufthansa-Maskottchen, Mc Donalds-Plüschtiere, allerhand Tand, der nur wohldosiert und hinter dem Rücken des Kindes wegsortiert oder gar weggeschmissen werden kann.

Oh ja. Das kenne ich. Großeltern sind die schlimmsten. Immer vorneweg mit der Kritik am Konsumterror, aber selber die Enkel mit Sachen überschütten. Zwar gibt es immer noch Omas und Opas, die ganz unschuldig und naiv mit Original-Kaufhausware beglücken wollen. Es gibt aber auch jene - oft den 68-ern nahe -, die beklagen, dass ihre Enkel „viel zu viel“ zum Spielen bekommen, aber glauben, dass auf dem Flohmarkt Erworbenes oder auf dem Dachboden Eingelagertes durch die Zweitnutzung vom Makel des Konsums befreit ist. Sprich: Der Anspruch auf Konsumverzicht gilt für solches Spielzeug nicht - schrille Keybords mit Tierstimmen, Puzzles oder Hartgummifiguren säckchenweise schenkt man mal so eben nebenbei. Zu Weihnachten gibt es dann die pädagogisch wertvollen und für teures Geld erstandenen Holzfiguren. Und - auch wenn mit denen kaum gespielt wird - das nahezu Gleiche im Folgejahr noch mal.

Der Mutter hingegen wird dezent der Elternratgeber der Antroposophen auf den Nachtschrank gelegt, in dem genau festgelegt ist, wie ein Kinderzimmer auszusehen hat - Pastellfarbe an der Wand, Engelbild aus der Renaissancezeit überm Bett -, und wie es aufgeräumt werden soll - einmal täglich, am besten abends. Frau soll demnach immer aussortieren und dafür sorgen, dass nur wenige Figürchen ordentlich auf dem einen Regal positioniert werden, damit es für die Kleinen überschaubar bleibt. Spielzeugkisten sind für Steiner-Pädagogen tabu.

Da trifft sich Waldorf mit meinen Kindern. Auch die beschweren sich zuweilen bei mir, wenn sie ihre Sachen nicht wiederfinden oder es in ihrem Zimmer zu unordentlich ist. Obwohl sie sich mit dem klassischen Ikeakistensystem urspünglich einigermaßen zurechtfanden. Nur ist dessen Kapazität mit acht Schubladen längst ausgeschöpft. Aus einer Kiste Holzklötze, einer Brio-Eisenbahn-, einer Duplo-, einer Lego-, einer Playmobil-, einer Baufix- und einer Kiste Puppengeschirr ist längst ein unüberschaubares Sammelsurium an Mixmaxkis-ten geworden. Oder wie würden Sie einen alten Bohrer, einen Kleiderhaken, eine Schlafmaske, Steine, Muscheln, ein Haigebiss, diverse Osterkörbchen, betagte Flummis, Wollfäden, Klebeband, Schlangenskelette, 25 Jahre alte Plastiksoldaten, Laserschwerter, defekte Walkmen und Ähnliches katalogisieren?

Zugegeben, das ist mein Problem. Großeltern und -tanten, das habe ich nach Auswertung der von mir geschätzten pädagogischen Ratgeber überlegt, sollen genau so weitermachen wie bisher. Denn Kindern, heißt es, fehlen in der heutigen Zeit zwei Dinge: Beziehungen und Handlungsräume. Und wenn die Beziehung der älteren Generation zur jüngsten nun mal in der Handlung besteht, Dachböden und Schränke gemeinsam nach Beute zu durchforsten, dann ist es eben so. Zumal meine Kinder von diesem Spiel begeistert sind.

Auch entferntere Verwandte und Bekannte leiten derzeit die Warenströme in Richtung Kinderhaushalt. Eine kinderlose Großtante schickte meinem dreijährigen Sohn per Post eine Barbie. Sie hatte gehört, er wünsche sich diese Puppe und wollte schon immer in den Laden gehen und eine kaufen. Andere senden dieser Tage in dritter Generation genutzte Bauklötze oder eine Eisenbahn, die im Garten fahren kann. Die These, dass zuviel Spielzeug die Kinder krank, später sogar süchtig machen kann, lässt da zwar den eigenen Raum für Geschenkpläne eng werden. Jedoch - Entwarnung - das mit der Suchtgefahr gelte nur, wenn ein Kind auch sonst kaum Kontakt zu Eltern und Freunden hat und nur konsumiert, statt eigene Fähigkeiten zu entwickeln, schränken Experten ein. Zudem brauchen Kinder, so rät die Suchtprävention, Material zur kreativen Entfaltung.

Die Sache mit den Muscheln und ausrangierten Schrauben ist also so verkehrt nicht. Noch besser ist es, wenn wohlmeinende Freunde Familienhaushalte nicht als Spielzeugabladeplätze benutzen, sondern selber etwas Zeit investieren. Genial, wenn die Großen mit den Kleinen töpfern, holzhandwerken oder Kekse backen. Oder Schach spielen, in den Zoo gehen oder vorlesen. Für Eltern gilt dies natürlich erst recht.

Und Weihnachten? Der gestressten berufstätigen Mutter sei der „Jacko-o-Katalog“ (www.jacko-o.de) ans Herz gelegt. Hier kann frau sogar noch nach 23 Uhr pädagogisch sinnvolle Geschenke bestellen. Einen Doktorkoffer mit Stethoskop, das wirklich Herztöne hört, zum Beispiel. Eine stabile Trommel, ein Mini-Mikroskop für Sechsjährige und jede Menge Bastelkram. Oder alles, was Kinder ermutigt, sich auch in der Wohnung mehr zu bewegen. Von der Balancier-Rolle über die Hängematte bis zum Billardtisch für Teenager. Sogar Turnmatten, Rollbretter und Klettergerüste fürs Kinderzimmer sind dort zu erwerben.

Bei der Frage, was zu Weihnachten geschenkt wird, sind zuletzt natürlich auch die Kinder zu hören. Ist dieser Termin doch neben dem Geburtstag die einzige Chance, so richtig am Konsumgeschehen teilzuhaben. Wer seine Nerven schonen will, nimmt die Kleinen niemals mit in eine Spielwarenabteilung. Auch die bunten Werbe-Kataloge, die derzeit via Morgenzeitung in die Haushalte flattern, gehören schnellstens ins Altpapier. Denn der Nachwuchs muss alles, was so verlockend aufgemacht ist, einfach haben. Gleichzeitig verlieren eben jene stark vorgefertigten Spielwaren mit batteriebetriebenen Spezi-aleffekten schnell ihren Reiz.

Manche Kinder wollen Barbie, Action-Man und Co. dennoch einfach nur besitzen, um sie im Kindergarten vorzuzeigen. Daran ist nichts verwerflich. Das kennen wir schließlich von uns selbst. Und auch wenn Experten davor warnen, alles zu schenken, was auf den Wunschzetteln steht, weil Frust in materiellen Dingen Kinder „eher lebenstüchtig“ mache - das ein oder andere Prestige-Objekt sollte den Gabentisch schmücken. Auch wenn Roboter-Hund und Rennauto nach kurzer Benutzung nur noch im Schrank stehen und auf kommende Generationen warten.

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