„Wieder Visionen entwickeln“

■ Im taz-Interview: Warum Jens Kerstan GAL-Chef werden will

taz: Was glauben Sie als Parteichef der GAL geben zu können, Herr Kerstan?

Jens Kerstan: Ich kandidiere als einer der jüngeren in der GAL, der nicht durch die jahrelangen Flügelkämpfe belastet ist, um ein klares Signal nach innen und nach außen zu senden. Das Signal, dass die aktuelle Krise nach der schweren Wahlniederlage zum Aufbruch und zur Erneuerung genutzt wird. Auch personell.

Wie lautet denn ihre Fehleranalyse und wie ihre Schlussfolgerung?

In der Koalition mit der SPD hat die GAL an Identifizierbarkeit eingebüßt. Die Taktik war falsch, Konflikte nicht öffentlich zu machen aus Angst, dass die SPD sich dann gar nicht mehr bewegt und sachpolitische Erfolge dann nicht mehr erreichbar wären.

Auf grünem Kuschelkurs ins Wahldebakel?

In der Koalition wurde nicht gekuschelt, sondern hart gestritten, leider nur hinter verschlossenen Türen. Letztlich haben wir damit zu wenige sichtbare und eindeutig grüne Erfolge erzielt. Als dies deutlich wurde, hätten wir unsere Strategie ändern müssen. So haben wir den WählerInnen zu wenig deutlich machen können, was Grün von Rot unterscheidet und wozu sie der GAL erneut ihre Stimmen geben sollten.

Blicken wir in die Zukunft: Welche Konsequenzen zieht ein Parteichef Kerstan aus dieser Analyse, welche Themen bekommen Priorität?

Kurzfristig müssen wir für die Bundestagswahl im nächsten Herbst arbeiten. Im Gegensatz zu Hamburg ist es uns im Bund gelungen, markante grüne Erfolge zu erzielen, die wir auch in Hamburg verdeutlichen müssen: Energiepolitik und Atomausstieg, Bürgerrechte, Einwanderungsgesetz und Lebenspartnerschaftsgesetz sind hier die Stichworte. Für Hamburg muss Vorrang haben zu verhindern, dass der Rechtsblock das Rad der Geschichte zurückdreht: in der Verkehrspolitik, in der Sozialpolitik, in der Umweltpolitik. Hier muss der GAL-Vorstand dafür sorgen, dass deutlich wird, wofür die Grünen in Hamburg stehen.

Wofür denn?

Wir müssen wieder grüne Visionen entwickeln von einem guten leben in einer besseren Stadt, welche die Menschen ansprechen. Diese müssen dann auch kampagnenfähig gemacht werden, zum Beispiel durch ein Bürgerbegehren für die Stadtbahn. Die GAL muss als Bündnispartner zur Verfügung stehen für die Gruppen und Bewegungen in dieser Stadt, die den Rechtsruck verhindern wollen. Auch dafür brauchen wir neue, frische Leute und nicht nur altbekannte Ex-SenatorInnen und Bundestagsabgeordnete.

Welche Inis oder Verbände empfangen denn die GAL freudig zurück in ihrer Mitte?

Die alte Bewegungsherrlichkeit wird es natürlich nicht wieder geben, weil die Gesellschaft sich geändert hat und die GAL sich auch. Wir sind eine ehemalige Regierungspartei und auch in der Opposition eine Regierungspartei im Wartestand. Da kann niemand einfach so zu alten heroischen Tagen zurückkehren. Wir müssen aber die Aufgabenverteilung zwischen Basisinitiativen und der GAL als parlamentarischem Arm gemeinsam neu bestimmen. Interview: smv