Alte Zöpfe. Neue Wege?

Hamburgs GAL wählt morgen eine neue Parteiführung und trennt sich wahrscheinlich von den Restbeständen traditioneller Misstrauenskultur  ■ Von Sven-Michael Veit

Vor dem Inhalt steht die Form. Mittels zweier Satzungsänderungen soll Hamburgs Grün-Alternative Liste (GAL) morgen zwei große Schritte zugleich machen. Heraus aus der Sinn- und Führungskrise nach dem Debakel bei der Bürgerschaftswahl am 23. September und dem Sturz des bisherigen Vorstands-Duos Antje Radcke und Kurt Edler am 3. November – und zugleich hinein in ein neues Selbstverständnis, welches der Entwurf zum Grundsatzprogramm der Bundesgrünen nicht länger als „Alternative zum Parteiensystem“ definiert, sondern als „Alternative im Parteiensystem“.

Mit dem Abschneiden altgrüner Zöpfe soll der Neustart beginnen. Die Landesmitgliederversammlung (LMV) möge, so hat es der langjährige Bürgerschaftsabgeordnete Martin Schmidt beantragt, die Trennung von Amt und Mandat abschaffen und die Doppelspitze in der Parteiführung gleich mit. Beide Prinzipien aus grüner Vorzeit gelten inzwischen vielen, vermutlich den allermeisten, GALierInnen als Restbestände dessen, was immer häufiger als „Misstrauenskultur“ etikettiert wird.

Ein Riegel gegen Ämterhäufung und Machtkonzentration sollte die eine Vorschrift sein, die andere – einstmals als Frauenquote erfunden – wurde zunehmend zum sichtbarsten Zeichen des Flügelproporzes von Realos und Linken: Zwei gleichberechtige VorstandssprecherInnen, ausdrücklich nicht „Vorsitzende“, die häufig genug damit ausgelastet waren, auf den Repräsentanten des jeweils anderen Flügels aufzupassen sowie JournalistInnen und Öffentlichkeit mit widersprechenden Erklärungen zunächst zu verwirren und schließlich zu nerven.

Ein erster Versuch der Satzungsänderung vor zwei Jahren erhielt auf einer LMV zwar eine Zustimmung von über 60 Prozent, verfehlte allerdings die erforderliche Zweidrittelmehrheit knapp. Sollte nun morgen die Basis im zweiten Anlauf diese Anträge akzeptieren, und dafür gibt es deutliche Anzeichen, käme dieser Reform bundesweite Signalwirkung zu.

Die GAL wäre der erste grüne Landesverband in Deutschland, der Führungsaufgaben künftig einer oder einem Parteivorsitzenden und einer oder einem StellvertreterIn überlässt. Und beide dürften zugleich ein Abgeordnetenmandat oder gar ein Regierungsamt innehaben. Auf Bundesebene projiziert hieße das, Joschka Fischer dürfte vom heimlichen zum offiziellen Parteichef werden, desgleichen die langjährige GALionsfigur Krista Sager in Hamburg.

Die bisherige Zweite Bürgermeisterin und nunmehrige Fraktionsvorsitzende aber will gar nicht. Auch ansonsten hält sich der Andrang grüner VolksvertreterInnen in engen Grenzen. Und das, obwohl die angekündigten Kandidaturen für den neu zu wählenden Parteivorstand deutliche Hinweise darauf liefern, dass die Satzungsänderungen als Selbstgänger betrachtet werden. Für den Parteivorsitz kandidiert die Bundestagsabgeordnete Kristin Heyne, Farid Müller, Vizepräsident der Bürgerschaft, will einer der vier Beisitzer im Landesvorstand werden. Das wars denn auch schon.

Ohne Ämter und sonstige höhere Würden sind die anderen KandidatInnen. Schatzmeister Carsten Kuhlmann will erneut Kassenwart werden, Christine Harff (Ex-Bezirksparlamentarierin in Eimsbüttel), Stefanie Wolpert (Vorsitzende der Grünen Jugend) und Caroline Hoffmann wollen ebenfalls von einfachen Parteimitgliedern zu einfache Vorstandsmitgliedern mutieren. Und gegen Heyne treten im Team der Bergedorfer Kreisvorsitznde Jens Kerstan und als dessen Stellvertreterin in spe die ehemalige Bürgerschaftsabgeordnete Sabine Steffen an.

Wohin der grüne Weg nach erfolgter Wahl programmatisch führen soll, bleibt hingegen geheimnisumwittert. Welten jedenfalls trennen die Chef-KandidatInnen (siehe Interviews) nicht – aber auch das darf bei Hamburgs Grünen als Neuerung begriffen werden.