berlin buch boomVerlorene Zukunft: Fania Oz-Salzbergers „Israelis in Berlin“
Sie kam als Ideengeschichtlerin an das Wissenschaftskolleg Berlin, die den Gedanken der Aufklärung auf ihren Wegen durch Europa nachspüren wollte. Stattdessen hat Fania Oz-Salzberger ein Buch über „Israelis in Berlin“ geschrieben, das in Israel fünf Monate lang auf der Bestsellerliste stand. Viele Briefe von Lesern erreichten sie, die ihre Erfahrung mit Deutschland auf den Punkt gebracht sahen.
Berliner wollen immer gerne die Begeisterung anderer über ihre Stadt hören. Sie kommen in diesem Buch auf ihre Kosten, wenn Guy Sachar das „gewisse Etwas“ der Stadt beschreibt mit „Berlin ist ein bisschen schmuddelig, ein bisschen kaputt, ein bisschen undeutsch.“ Weil es kein Punk, sondern ein Bankmanager ist, der gerade dieses braucht, ist es mehr als ein Klischee. Aber Fania Oz-Salzberger hat eigentlich nicht für die geschrieben, die in Berlin zuhause sind. Sondern für die, denen die Stadt ein „wir“ aufnötigt, das anstrengend ist und zu ständigen Wachheit gegenüber der Geschichte aufruft. Ein „wir“, das sich im Erschrecken bei alltäglich gebrauchten Worten wie „aufmachen“, „Arbeit“ oder „frei“ erkennt. Dem auf jüdischen Friedhöfen in Berlin die vielen Toten der Familie wieder einfallen, die nicht einmal ein Grab haben. Dem mulmig beim Anblick einer Wiese wird, auf der sich die nackten Körper Sonnenhungriger dicht drängen, weil unbekleidete Menschenmengen von Bildern des Todes besetzt sind.
Auch ein „wir“, das nicht immer gewollt wird. Juden und Israelis, aus der Perspektive der Deutschen wird selten eine Unterscheidung zwischen Zugehörigkeit zu einer Gemeinde hier und der Herkunft aus einem jungen Staat jenseits des Mittelmeeres gemacht. Bei der Ermordung Rabins sprachen Vertreter deutscher Politik zuerst der jüdischen Gemeinde ihr Bedauern aus. Nach ihrer Meinung zum Jüdischen Museum und zum Holocaust-Mahnmal wurde die Historikerin aus Tel Aviv oft gefragt und hätte doch lieber über Demokratie und Macht im Berliner Regierungsviertel geredet.
Viele Institutionen gibt es zur Erforschung jüdischer Kultur in Deutschland, kaum eines für hebräische Literatur. Dabei hat, und das wird zu einem Leitfaden ihrer Reise in das Berlin der Zwanzigerjahre, diese Literatur gerade hier begonnen, manchmal als Schauplatz, manchmal als Ort des Schreibens. Ihre Gewährsleute sind Samuel Josef Agnon, der in Berlin chassidische Erzählungen sammelte, und Lea Goldberg, deren Figuren noch in Deutschland lebten, als sie schon in Israel schrieb. Die jiddische Sprache, die neue hebräische Kultur, der Zionismus: für sie alle bildete die Metropole Berlin einen Katalysator an der Schnittstelle von Orthodoxie und Moderne. Fruchtbar wurde diese Reibung auch in der Arbeit der Architekten, die aus Berlin kamen und mit ihren Siedlungskonzepten soziale Ideale nach Jerusalem und Tel Aviv brachten.
Was mit diesem Labor der Weimarer Republik zerstört wurde, zeitigt bis heute Konflikte, die noch in der Funkstille zwischen Israelis und Juden in Berlin wiederhallen. Dieser verlorenen Chance ist die Autorin auf der Spur. Die zerrissenen Fäden zwischen der Aufklärung und dem Zionismus sammelt sie wieder auf. Micha Brumlik, der sich im Literaturhaus Fasanenstraße mit ihr über ihre Sehnsucht nach einer Erinnerungslandschaft gestritten hat, in der die Optionen für eine andere Entwicklung aufscheinen, sieht deshalb in ihrem Buch und dessen allzu begeisterten Aufnahme den Ausdruck einer Krise der israelisch-jüdischen Identität.
„Vielleicht trifft sich der Zwang, in das Land der Väter zurückzukehren, jetzt mit dem anderen Zwang, nach draußen zurückzukehren, zu den Orten, die einst zuhause waren“, überlegt sie am Ende und verspricht: „Wir werden kommen, jeder um sein persönliches Erbe zu suchen: das Bauhaus, Erich Kästner, Martin Buber, Rumpelstilzchen oder den Ring der Nibelungen.“ Der Luxus der Stadt, die in wohlgeordneten Museen über die eigene Geschichte verfügen kann, erscheint ihr manchmal fast obszön und lässt sie hungrig nach der eigenen kulturellen Immobilie suchen. Dieses Erbe anzutreten, betont sie, ist etwas völlig anderes, als Entschädigung zu fordern. KATRIN BETTINA MÜLLER
Fania Oz-Salzberger, „Israelis in Berlin“, Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M 2001, 235 Seiten, 39 DM
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen