gerichtstermin in moskau
: Der Korrespondent und der Dichter

Die taz und ihr langjähriger Russland-Korrespondent Klaus-Helge Donath stehen vor Gericht, genauer gesagt vor dem Moskauer Bezirksgericht „Gagarin“. In zwei Wochen soll dort eine zweite Anhörung statt, mit dem Verfahren ist im neuen Jahr zu rechnen.

 Stein des Anstoßes und Gegenstand des Verfahrens ist ein Artikel von Klaus-Helge Donath, den die taz unter dem Titel „ Kim Il Putin lässt sich feiern“ am 7. Mai 2001 druckte. Darin zieht der Autor ein Jahr nach dem Machtantritt des russischen Präsidenten Wladimir Putin Bilanz und beschreibt zahlreiche Facetten eines wiedererstandenen Personenkultes um den Kremlchef. Erwähnt wird auch ein neues Gesellschaftsspiel „Präsident – Patriot“, bei dem der Staatschef uneingeschränkte Macht genießt und jedem Patrioten zu Hilfe eilen kann. Weiter heißt es im Text: „Einer von ihnen könnte der parteilose Student Michail Anitschenko aus Tscheljabinsk sein, der seinem Idol eine Ode widmete: ‚Sag mir Russland, antworte auf die Frage / warum nur den Präsidenten du vertraust? / und spürst keine Tränen, wenn in die Augen ihm schaust / ist deine Seele mit ihm in leidendem Bunde?‘ – Die Aufzeichnung der vertonten Orchesterversion bestritt der Student aus eigenen Mitteln. Der folgende Absatz lautet: „Die Begeisterung kennt weder Grenzen noch Klassen. In Sibirien beantragte eine Kolchose, den Betrieb nach Putin umbenennen zu dürfen. Und auf dem Tatoo-Wettbewerb in Petersburg wurde das Konterfei Putins mit einem Sonderpreis für ‚Patriotismus‘ ausgezeichnet.“

 Offensichtlich nimmt besagter Student Donaths Ausführungen, die der Internetdienst „Inopressa“ in Auszügen ins Russische übersetzte und ins Netz stellte, etwas zu persönlich. Denn Anitschenko klagte – mit der Begründung, er sei „in seiner Ehre und Würde als Mensch und Bürger verletzt.“ Er fühle sich verunglimpft, da Donath ihn zu einem „eifrigen Parteimitglied“ gemacht habe und ihm unterstelle, sehr viel Geld vom Präsidenten für die Ode erhalten zu haben. Überdies verwahrt sich Anitschenko gegen die Bezeichnung „Idol“.

 Von einer Parteimitgliedschaft Anitschenkos ist im Artikel genauso wenig die Rede wie von einer Honorierung der Ode – zumindest nicht in der deutschen Fassung. Auch ist Donath nicht der erste Journalist, der die musikalische Hommage publizistisch verarbeitete. Deren voller Wortlaut war bereits im Januar in der russischen Zeitung Kommersant erschienen, flankiert von einem ironischen Artikel. Dessen Autor wartet noch mit zusätzlichen Details zur Ode auf: Diese soll Anitschenko nach einem Schädeltrauma verfasst und auf eigene Kosten für die Vertonung gesorgt haben.

 Die erste Klage Anitschenkos wurde nach einer Anhörung aufgrund formaler Mängel verworfen. Kurz darauf folgte eine zweite, wesentlich detailliertere Fassung. Darin heißt es unter anderem, Donath habe gegen das Pressegesetz der Russischen Föderation verstoßen, indem er Unwahrheiten über einen russischen Bürger und den russischen Präsidenten verbreitet habe.

 Anitschenko klagt jetzt auf Schadensersatz wegen Ehrverletzung in Höhe von umgerechnet 25.000 Mark. Doch damit nicht genug. Überdies soll nach dem Willen des Klägers Donath auch noch seine Akkreditierung entzogen, mit anderen Worten die taz in Moskau mundtot gemacht werden.

 Der Fall taz/Donath gegen Anitschenko scheint auch russische Medien zu interessieren. Am 23. November widmete die Regierungszeitung Rossijskaja Gaseta dem Rechtsstreit einen Artikel. Darin heißt es, Anitschenko habe die vertonte Version der Ode einem föderalen Minister übergeben. Kurz darauf habe er einen begeisterten Anruf aus der Präsidialadministration des Kreml erhalten. Weiter übernimmt der Autor ungeprüft die Behauptungen Anitschenkos und teilt den Lesern weiter mit, die erste Sitzung in diesem Fall sei wegen Nichterscheinens des Beklagten vertagt worden. Donath nebst Rechtsbeistand waren bei diesem Termin jedoch anwesend. In zwei Wochen heißt es nun: Ode – die Zweite. Vielleicht sollte sich diesmal auch der Journalist der Rossijskaja Gaseta in den Gerichtssaal bemühen.  BARBARA OERTEL