„Die Dunkelziffer ist hoch“

Gespräch mit Dr. Klaus Zöllig, dem Vorsitzenden des Vereins für Doping-Opfer-Hilfe, über die nun endlich zu erwartenden Gelder für die Geschädigten und das späte Umdenken der Sportfunktionäre

Interview: FRANK KETTERER

Jahrelang waren die Opfer des ehemaligen Staatsdopingbetriebs DDR im wiedervereinigten Deutschland ein Tabuthema: Sowohl Staat als auch Sportverbände, allen voran das Nationale Olympische Komitee (NOK) und der Deutsche Sportbund (DSB), sahen sich für die Spätschäden der ehemaligen Sportler, die mit Zwang und teils ohne ihr Wissen schon im Kindesalter gedopt wurden, nicht zuständig. Nun scheint doch noch ein Umdenken, zumindest teilweise, stattgefunden zu haben, wie auch der Weinheimer Sportmediziner Dr. Klaus Zöllig konstatiert. Zöllig ist Vorsitzender des Vereins für Doping-Opfer-Hilfe, eine Privatinitiative, die sich seit zweieinhalb Jahren um Doping-Opfer kümmert.

Herr Dr. Zöllig, Manfred von Richthofen, der Präsident des Deutschen Sportbundes, hat sich erstmals zu Versäumnissen von Seiten des Sports in Sachen Doping-Opfer bekannt und sich bei den Opfern für die jahrelange Verschleppung des Themas sogar entschuldigt. Ist im Kampf um die Anerkennung von Doping-Opfern endlich der entscheidende Durchbruch gelungen?

Klaus Zöllig: Ja, ich denke, dass das der zweite große Schritt war. Der erste, vielleicht noch entscheidendere, wurde bereits im Oktober getan, als der Bundestag beschloss, im nächsten Jahr vier Millionen Mark für die Doping-Opfer-Hilfe bereitzustellen. Daraus hat Herr von Richthofen nun die Konsequenzen gezogen. Er kam nicht mehr umhin, die Verantwortung des Sports für die Doping-Opfer anzuerkennen.

Warum hat es so lange gedauert, bis der DSB seine Zuständigkeit erkannt hat?

Man muss das wohl historisch betrachten: Bei der Wiedervereinigung hat man an alles mögliche gedacht, nur nicht an das Thema Doping-Opfer. Den Begriff gab es damals ja noch gar nicht. Diese Menschen hat man mehr oder weniger unter den Teppich gekehrt. Als das Thema dann aufkam, befürchteten Sportverbände wie DSB und NOK, finanziell zur Verantwortung gezogen zu werden. Deshalb begaben sie sich in diese strikte Abwehrhaltung. Aus einer solchen Haltung wieder rauszukommen ist schon psychologisch nicht ganz einfach, eben weil man dabei Fehler eingestehen muss. Dass Herr von Richthofen dies nun getan hat, rechne ich ihm hoch an.

Welche konkrete Unterstützung könnte der DSB in die Doping-Opfer-Hilfe einbringen?

Er könnte als Institution in unserem Verein Mitglied werden, das wäre ein moralisch anerkennenswerter Schritt. Und er könnte mit seiner Infrastruktur bei der Verteilung der zu erwartenden Gelder von der Bundesregierung helfen. Wir vom Verein sind da in allen Richtungen und für jedes Gespräch offen. Die Hilfe muss nur konkret und möglichst unbürokratisch sein.

Reicht die Einmalzahlung der Bundesregierung von vier Millionen Mark überhaupt aus?

Natürlich hätten wir uns mehr Geld gewünscht oder die Möglichkeit, dass man später nochmal nachbessert. Andererseits muss man erst mal sehen, wie viele Opfer es ganz konkret gibt, die Hilfe benötigen. Wir vom Verein sind bei einer Hochrechnung einmal von 10 Millionen Mark ausgegangen, die nötig wären.

Von wie vielen Opfern sind Sie dabei ausgegangen?

Von 300. Wobei keiner weiß, wieviele es wirklich sind. Die Dunkelziffer ist da doch sehr hoch. Viele, die heute mit einem gesundheitlichen Schaden leben, wissen nach wie vor nicht, dass die Grundlage für diesen damals während ihrer aktiven Zeit als Sportler gelegt wurde.

Wann kann das Geld ausbezahlt und den Opfern konkret geholfen werden?

Man hat mit mir oder dem Verein darüber noch nicht offiziell gesprochen.

Und inoffiziell?

Inoffiziell soll demnächst mit den Untersuchungen potenzieller Opfer begonnen werden. Das wäre dann quasi der nächste Schritt vor der eigentlichen Entschädigung.

Sie gehen also davon aus, dass all dies bald geschieht.

Darauf werden wir drängen. Die Opfer haben schon viel zu lange warten müssen.

Wer wird die Verteilung der Gelder regeln?

Ich gehe davon aus, dass das die Bundesregierung machen wird.

Im Gespräch ist auch, ein unabhängiges Expertengremium ins Leben zu rufen. Wäre das in ihrem Sinne?

Zu 100 Prozent. Das Gremium hätte die Aufgabe, den Zusammenhang zwischen den gesundheitlichen Schäden und dem unwissentlichen Doping von einst zu überprüfen und damit sicherzustellen, dass es sich bei den betreffenden Personen auch tatsächlich um Opfer handelt. Das muss ganz genau untersucht werden, schon um sich vor Trittbrettfahrern zu schützen.

Welches sind die häufigsten Schäden der Doping-Opfer?

Der Schwerpunkt liegt im Bereich des Skelettsystems und der inneren Organe, vor allem der Leber. Und es gibt Schäden im Genitalbereich bei Frauen, das ganze System ist da häufig durcheinander.

Im Gegensatz zum DSB lehnt das Nationale Olympische Komitee, allen voran sein uneinsichtiger Präsident Walther Tröger, nach wie vor jede Verantwortung für eine Entschädigung ab.

Dafür fehlen mir die Worte, es ist einfach beschämend. Tröger hat sich da in eine Position verrannt, die einer solchen Organisation unwürdig ist. Er kommt mir manchmal vor wie ein bockiges Kind, das auf den Boden stampft und auf seiner Meinung beharrt. Tröger weiß gar nicht, wie sehr er dem NOK damit schadet.