Angst essen Sprache auf

Der israelische Dramatiker Joshua Sobol erzählt von Figuren, die damit überfordert sind, unbesiegbar sein zu müssen. „Schweigen“ ist das Debüt des 62-Jährigen als Romancier

Dies Romandebüt ist schon deshalb außergewöhnlich, weil es von einem 62-jährigen Dramatiker stammt, der mit seinen Theaterstücken berühmt, in Israel selbst aber immer wieder als Nestbeschmutzer angegriffen wurde. In Stücken wie „Das Jerusalem Syndrom“ und „Die Palästinenserin“ hat Sobol auf jüdischen Fundamentalismus hingewiesen und die Unterdrückung von Palästinensern thematisiert.

Nun entwirft er das leise erzählte und fein gestrickte Panorama eines Dorfes in Israel. Sobols Ich-Erzähler ist ein Knabe, der zum Lyriker reift und die Nachkriegsgeschichte Israels sowie das eigene Leben mittels rasanter Zeitsprünge erzählt. Am Ende ist der Erzähler über achtzig und beschreibt immer noch Menschen, die wirken, als seien sie von innen aufgezehrt. Angst essen Sprache auf, so könnte der Titel auch lauten. Der Ich-Erzähler zumindest hält zeit seines Lebens konsequent eine selbst auferlegte Stummheit durch. Auslöser ist die Beschneidung des Knaben. Ab diesem Zeitpunkt speichert er alles, was er sieht, und schreibt in schöner Schrift und größter Schnelligkeit nieder, was ihm notiert wird. Er wird zum Sekretär des berühmten Schriftstellers, der im Dorf lebt und einer der Ersten in Sobols Figurenpanorama ist, der wie ausgehöhlt wirkt. Eine doppelgesichtige Seele gab Sobol vielen Figuren mit. Auf der einen Seite steht der Mythos der Unbesiegbarkkeit, geboren aus den Aufbaujahren, der Staatsgründung 1948 und dem „Befreiungskrieg“ gegen die arabische Welt. Auf der anderen Seite steht die Anfälligkeit für Irrationalismen, geboren aus der Überforderung, unbesiegbar sein zu müssen.

Konzipiert hat Sobol sein „Schweigen“ wie ein Melodram in drei Akten. Den zweiten Akt widmet er fast ausschließlich einem Kampf des stummen Sohnes mit dem Vater. Der Vater will sich umbringen, der Sohn will ihn zurückhalten. Am Ende stirbt der Vater unwürdig an das Bett eines Krankenhauses gefesselt. „Schweig“ ist das letzte Wort aus seinem Mund und auch der Romananfang gehört zu denen, die sich ins Gedächtnis eingraben.

JÜRGEN BERGER

Joshua Sobol: „Schweigen“. Aus dem Hebräischen von Markus Lemke. Luchterhand Verlag, München 2001. 336 Seiten. 22,49 € (44 DM)