Lauter Maulhelden

Im Tempodrom findet das 1. Internationale Festival der Wortkunst statt. Dichter, Denker und Quatscher verlangen zehn Tage lang nach Gehör

von VERENA MÖRATH

Selten steht das gesprochene Wort so verschärft im Mittelpunkt wie beim Maulheldenfestival im Januar kommenden Jahres. Zehn Tage lang werden Sprachkünstler aus aller Welt auf den Bühnen des Neuen Tempodroms zum Mikrofon greifen, um Hintersinn und Sprachwitz zu ehren. „Das Festival ist keinem spezifischem Genre verpflichtet sondern bündelt vielmehr alle Spielarten der Wortkunst“, so Initiator Arnulf Rating, bis kurz nach der Wende Mitglied der Berliner Kabarettgruppe „Die Drei Tornados“ und seit 1980 dem Tempodrom eng verbunden.

Seit einem Jahr organisiert die „Kunst und Kultur im Tempodrom gGmbh“ diesen ersten Berliner Wortmarathon, zu dem rund 65 Gruppen mit insgesamt 210 Künstlern eingeladen sind. Die Rede ist auch von einer „internationalen Vernetzung“ aller Vertreter der Wortkunst zu einem „World Wide Word“. Das Ziel: den interkulturellen Dialog zu fördern, Sprachgrenzen zu überwinden und produktiven Kulturaustausch zu ermöglichen.

Unter Ratings künstlerischer Leitung ist ein Programm entstanden, das einerseits traditionelles Kabarett und Stand-up-Comedy bietet, andererseits aber auch Experimentierfreude zeigt: So gibt es Slampoetry, Vorträge dadaistischer Texte, Sprachakrobatik und Lautmalereien, Märchen und Lyrik aus Afrika sowie orientalische Erzählkunst.

Neben altbekannten deutschen Größen wie Wiglaf Droste, Elke Heidenreich und Robert Gernhard, Irmgard Knef, Gerhard Polt und Fil, Hilde Kappes und vielen anderen, geben auch die seit einigen Jahren rührigen Berliner Lesezirkel „Reformbühne Heim und Welt“ oder die „Surfpoeten“ ihr Stelldichein.

Lauteste Truppe wird ohne Zweifel der dreißig Mann starke finnische Sprechchor Mieskuoro Huutajat sein. Seine Symphonie ist vom Eismeerrauschen ebenso inspiriert wie von den Geräuschen in einem Supermarkt. Rating konnte ebenso die weltbekannte The San Francisco Mime Troupe gewinnen, die seit über vierzig Jahren Straßentheater zu stets aktuellen Themen macht. Sándor Fábry, der ungarische Harald Schmidt, tritt mit seiner Lateshow auf, Freek de Jonge und Jaap Blonk aus den Niederlanden mit politischem Kabarett und dadaistischer Lautpoesie.

Im großen Saal wird auf Popularität gesetzt, in der kleinen Arena auf Polarisierendes, in den Seminarräumen auf Experimentelles und intime Lesungen. Im Foyer können sich täglich vor dem offiziellen Programmstart nicht nur professionelle Wortkünstler, sondern auch Amateure in einer Speaker’s Corner profilieren.

Rating will mit diesem internationalen Festival „auch testen, was importierbar ist“. Denn trotz Globalisierung und anscheinendem Näherrücken, trotz Kulturaustausch und Weltoffenheit wird man sehen müssen, ob britischer, australischer oder amerikanischer Humor auf Englisch verstanden wird, ob das Publikum hierzulande den französischen Meister des Bühnenvortrags Raymond Devos zu schätzen weiß oder die traditionelle japanische Erzählkunst eines Katsura Koharundanji auf offene Ohren stößt. Zwar gibt es in Berlin eine wachsende Fangemeinde, die Filme in Originalfassung ansehen möchte. Ob es die Gelegenheit, ausländischen Kabarettisten im Original zu lauschen, ebenso begeistert aufnimmt, wird sich zeigen. Einige wagemutige ausländische Komödianten haben indes ihr Programm auf Deutsch übersetzen lassen und sich in die fremde Sprache eingefuchst.

Arnulf Rating und seine Mitstreiter sehen die Sprachbarrieren nicht als so dramatisch an und hoffen auf täglich 1.500 Festivalbesucher. Im Falle eines Erfolgs soll die Maulheldenprojekt jährlich stattfinden, ähnlich wie die „Heimatklänge“, als dessen Winterpendant das Festival gedacht ist. Immer gut besucht war das Musikfestival unter anderem deshalb, weil es für jedermann erschwinglich war. Das Tempodrom bleibt bei „Maulhelden“ ebenso auf niedrigem Preisniveau. Eine Tageskarte, mit der man von Auftritt zu Auftritt tingeln kann, solange es das Ohr verkraftet, kostet 10 Euro. Nach dem Motto: fast umsonst und drinnen.

Maulhelden/Vocal Heroes, 1. Internationales Festival der Wortkunst, findet vom 9. bis 19. Januar 2002 statt. Programm und Kontakt www.maulhelden.de, Karten unter Tel. 61 10 13 13