Kulturmix soll bleiben

Tempodrom-Chefin Irene Moessinger über ihre Vergangenheit und die Zukunft im neuen Haus

taz: Was ist eigentlich aus Dressurschwein Oscar geworden?

Irene Moessinger: Das ist gestorben.

Und der Elefant Tibor Sahib?

Auch tot. Die sind alle tot. Die waren ja schon alt.

Tut Ihnen das ein bisschen Leid, dass Ihre Manegenarbeit der Vergangenheit angehört?

Für mich ist das nicht so schlimm, weil ich das sieben Jahre lang gemacht habe. Und mir war schon klar, dass ich nicht neue Tiere dressiere. Den Kinderzirkus im Tempodrom wird es aber immer geben. Wir haben die Plattform des Kinderzirkus weitergegeben an junge Artisten von der Artistenschule.

Und die werden auch im neuen Tempodrom aktiv sein?

Ja, vielleicht nicht gleich im ersten Jahr. Aber die werden bestimmt eine neue Produktion starten.

Was verbindet das alte mit dem neuen Tempodrom?

Wir haben im neuen Tempodrom das umgesetzt, was die Zelte auch verkörpert haben. Das große und das kleine Zelt, das sind jetzt große und kleine Arena. Dann die Parkanbindung wie im Tiergarten. Das war wichtig, dass das weiterlebt. Nicht zuletzt auch das Dach in einer symbolischen Zeltform.

Und das Programm?

Es gab immer Projekte, die waren keine Kassenschlager, aber sie haben dem Tempodrom einen guten Ruf eingebracht. Und daneben liefen Dinge, die haben unsere Existenz gesichert. Dieses Verhältnis muss bleiben. Allerdings kommen jetzt noch andere Bereiche dazu, die im alten Tempodrom nicht möglich waren.

Welche Veranstaltungen sind neu?

Bei Klassikkonzerten hatte das Zelt einfach seine Grenzen. Da hatten wir zwar auch eine Tradition, aber jetzt werden viel mehr Klassikkonzerte stattfinden, weil das Haus eine besonders gute Akustik hat. Und dann ist die Nachfrage auch groß für Veranstaltungen, die einen Konferenzcharakter haben.

Ist das nur eine Sache räumlicher Erweiterung?

Ich denke, dass dieser Ort eine ganz eigene Dynamik entwickeln wird. Das ist jetzt eine sehr zentral gelegene Versammlungsstätte. Wenn man sich zu aktuellen Themen versammeln will, dann wird man garantiert auf das Tempodrom zurückgreifen.

Sie meinen politische Veranstaltungen?

Auch. Im Dezember wird zum Beispiel eine große Veranstaltung zur Unterstützung afghanischer Frauen stattfinden.

Wie viel eigene Veranstaltungen wird es noch geben?

Wir haben einen Katalog von fünf Eigenveranstaltungen. Wie viel wir davon umsetzen können, hängt davon ab, wie viel Förderung wir bekommen oder wie viel Sponsoren wir gewinnen. Im Januar fangen wir mit der ersten großen Eigenveranstaltung an, dem Maulheldenfestival. Was einen ähnlichen Charakter hat wie die Heimatklänge.

Ist der Druck, Veranstaltungen aus Geldgründen anzunehmen, jetzt größer? Ich denke da zum Beispiel an Holiday on Ice.

Holiday on Ice ist eine Veranstaltung, die im Mittelmaß liegt. Das ist jetzt nicht unbedingt ein großer Geldfaktor. Es ist aber eine Veranstaltung, die über mehrere Wochen läuft, was auch mal ganz gut ist, weil es natürlich sehr anstrengend ist, jeden Tag eine andere Veranstaltung zu haben. Außerdem ist Holiday on Ice vielleicht Europas beste und größte und bunteste Kostüm- und Artistikdarbietung.

Das Zelt mit den Zirkuswagen hatte ja ein ganz eigenes Flair. Warum gibt es jetzt ein festes Haus?

Ich glaube, da hat man eher aus der Not eine Tugend gemacht. Es sind ungefähr 25 Plätze geprüft worden nach Schallschutz und Parkraumbewirtschaftung. Es gab in dieser Stadt keinen Platz für dieses Zelt. Und für einen festen Bau war der Anhalter Bahnhof natürlich der ideale Standort. Dort ist der Potsdamer Platz in der Nähe und gleichzeitig Kreuzberg. Das passt einfach zum Crossover-Bereich, für den das Tempodrom steht. In gewisser Weise ist das neue Haus eine Reinkarnation.

Und eine Verbesserung?

Ein Zelt ist wunderbar, wenn die Sonne scheint. Aber man kann im Winter nicht spielen. Und außer den drei Monaten, in denen in dieser Stadt wirklich schönes Wetter ist, war es oft sehr hart. Nach 21 Jahren war ich manchmal die dicken Jacken leid und den Wind.

Könnten Sie sich vorstellen, auch etwas ganz anderes zu machen nach 22 Jahren Tempodrom?

Das ist natürlich schon mein Lebenswerk, das ist ganz klar. Ich habe ja nach zehn Jahren Tempodrom noch mal eine Ausbildung gemacht in Richtung Waterbalancing, Physiotherapie. Aber als das dann klar war, dass das Tempodrom die Wende überlebt und auch das Regierungsviertel, habe ich mich bewusst dafür entschieden weiterzumachen.

Sie mussten aufgrund des Millionenfinanzlochs aus dem Stiftungsrat austreten.

Das ist eine traurige Geschichte. Auf der anderen Seite ist es ja so, dass wir wir mit dem neuen Stiftungsrat alle an einem Strang gezogen haben, damit das Haus rechtzeitig fertig wird.

Das Tempodrom ist jetzt Mieter im neuen Haus. Das ist neu.

Früher waren wir Eigentümer. Aber auch wenn wir in der Stiftung geblieben wären, wären wir nicht wirklich Eigentümer gewesen. Das Haus ist aus vielen verschiedenen Quellen finanziert. Wir bestimmen jetzt die Inhalte, und natürlich müssen wir die Wirtschaftlichkeit sichern.

Geldschwierigkeiten hatte das Tempodrom ja fast immer.

Das ist ein ständiges Auf und Ab. Mal geht’s besser, mal muss man so kämpfen wie jetzt, damit es auch ein Überleben gibt. Ich hab da ein gewisses Urvertrauen, dass das wirklich Kreative und Visionäre sich durchsetzt. Und, dass das Handeln aus dieser Vision heraus richtig ist.

Erstaunlich waren ja von Anfang diese Kontakte in alle Richtungen. Wie schafft man es z. B. Die Ärzte, Didi Hallervorden und ein Dressurschwein in eine Veranstaltung zu kriegen?

Wir haben vor allem geschafft, dass die Unbekannten auf der Bühne zu Stars wurden und bekannte Leute, wie Didi Hallervorden, ausgebuht wurden. Das war immer eine Gratwanderung. Aber genau das ist im Grunde genommen Multikulti. 1985 zum Beispiel,traten nicht nur Didi Hallervorden und Die Ärzte in einer Show auf, sondern auch Kreolen, die getrommelt haben, und die Berliner Liedertafel.

Woher nehmen Sie die Gewissheit, dass so eine Mischung funktioniert?

Es hat nicht immer funktioniert. Es war immer ein Experiment, und manchmal habe ich zu viel zusammengebracht. Aber ich finde, dass es heilsamer ist, in dieser Welt zusammenzukommen, als immer in Abgrenzung zu leben. Und dass natürlich über Kultur der erste Schritt möglich ist.

War das der Grund, weshalb das Tempodrom nie so richtig zur so genannten Alternativkultur gehören wollte?

Das kann man so nicht sagen, weil wir natürlich auch Alternativkultur Raum geboten haben. Aber das Tempodrom steht eben nicht nur dafür, sondern genauso für Mainstream. Es hat eben auch die Rheumaliga da getagt, deren Präsident Diepgen ist. Es ist nicht an mir zu entscheiden, wer ein guter oder wer ein schlechter Mensch ist. Natürlich gibt es Grenzen, die gab’s immer. Aber Rechtsradikale etwa hat das Tempodrom auch nie angezogen. Wir hatten nie eine Anfrage von denen.

Ist das Neue Tempodrom ein Stück Lebenstraum, eine Vision, ähnlich wie damals, als Sie das erste Zelt kauften?

Es gibt einen Unterschied. Das hat aber auch mit meinem Alter zu tun. Heute geht es mir nicht mehr nur um Selbstverwirklichung. Man muss sich natürlich die Frage stellen, für wen ist das Tempodrom wichtig, für die Stadt, für das Publikum, für die Leute, die da arbeiten. Wenn man nach so vielen Jahren einfach sagt, nö, ich hab jetzt keine Lust mehr, und dann weiß man aber, hinterher sind soundsoviel Leute arbeitslos. Da ist man plötzlich in der Verantwortung.

War das immer so gewollt, dass sich das so auf Ihre Person zuspitzt?

In Wirklichkeit hängt es ja von vielen ab. Aber vielleicht ist es so, dass sich in meiner Person vieles kulminiert, was das Tempodrom repräsentiert. Ich glaube, dass ich die Idee verkörpere, die Geschichte und vor allem das Durchhaltevermögen des Tempodroms. Und so lange das so ist, stehe ich auch zur Verfügung.

INTERVIEW: CHRISTINE BERGER