Le Tempodrom c’est moi, trotz der Malaise

Irene Moessinger, Berlins bekannteste Kulturmanagerin, ist am Ziel ihrer Träume angelangt – auch wenn sie nur noch Programmchefin ist

Der rote Bauhelm, mit dem Irene Moessinger in den vergangenen zwei Jahren über die Baustelle des Neuen Tempodroms am Anhalter Bahnhof spazierte, war etwas zu groß für ihren Kopf; eine schnelle Bewegung, schon rutschte er ihr ins Genick. Für die Männer vom Bau war die Tempodrom-Chefin und Bauherrin daher ein eher lustiger Anblick. Am Selbstbewusstsein von Berlins wohl berühmtester Kulturmanagerin hat das nicht gerüttelt. Auch nicht, dass sie vor zwei Monaten den Vorsitz im Stiftungsrat Neues Tempodrom räumen musste, weil die Baukosten von 36 Millionen auf fast 60 Millionen Mark explodiert waren und Moessinger sich seither mit dem Veranstaltungsbetrieb begnügen muss. „Das Bauen hat richtig Spaß gemacht, da habe ich was gelernt“, sagt sie trotzig. Und ihre Augen sagen: Jeder in der Stadt wird mich mit dem neuen Bau identifizieren, Le Tempodrom c’est moi, trotz der Malaise.

Der 8. Dezember 2001 ist für Irene Moessinger die Erfüllung eines Traums: mit viel Arbeit, Ehrgeiz und einer Portion Fantansie, die andere in Berlin nicht haben. Seit 21 Jahren agiert sie, erst vom plüschigen Zirkuswagen aus und jetzt im schnieken Büro neben dem Neuen Tempodrom, und „macht verrückte Sachen“. Ihre rotes Haar ist auch nach fünfzig Jahren noch rot und strubbelig, das lustige Lachen und die raue Stimme haben sich ebenso wenig verändert. Wenn Moessinger einmal die Brille aufsetzt, wirkt sie eher verkleidet als seriös.

Dass hinter der chaotischen Kulisse des alternativen Kulturbetriebs eine kluge Strategin steckt, erwies sich beim erzwungenen Umzug 1998: Bereits 1994 hatte Moessinger den neuen Standort auf dem brachliegenden Gelände am Anhalter Bahnhof in Kreuzberg ins Auge gefasst, eine Baugenehmigung besorgt und mit anarchischer Fantasie einen neuen Zeltbau geplant. Drei Architektenteams wurden verschlissen, 1997 vom Bund Entschädigungsgelder von 8 Millionen Mark für den Umzug nach Kreuzberg erstritten und die weiteren notwendigen Mittel von insgesamt 36 Millionen Mark von Sponsoren, Banken sowie der EU lockergemacht. „Ich werde das Neue Tempodrom bekommen, ob 2000 oder 2002, das ist egal“, sagte Moessinger damals. „Denn das Tempodrom gehört Berlin.“

Für Moessinger ist der Wandel ein Lebensprinzip: „Ich halte nicht ängstlich an alten Strukturen fest. Bewegungen und Veränderungen interessieren mich viel mehr. Das ist wie mit Beziehungen, die alte geht kaputt, es entsteht eine neue. Es ist traurig, wenn etwas stirbt, dafür kriegt man aber etwas anderes.“ Dass dies manche nicht kapieren, will ihr nicht „in den Kopp“.

Das Tempodrom wird auch am neuen Ort „eine Institution für Berlin“, hofft sie. Das neue Programm soll jährlich rund 200.000 Besucher anziehen, einflussreiche Freunde sollen den neuen Start sichern helfen. Im Förderkreis sind der Kabarettist Arnulf Rating, aber auch Matthias Kleinert von DaimlerChrysler und die Filmproduzentin Regina Ziegler. Und der neue Bauleiter Roland Specker, der die Geschäfte bei der Reichstagsverhüllung von Christo und Jeanne-Claude führte, nennt Irene Moessinger „einen Jeanne-Claude-Typ“, will heißen: Vorsicht, diese Person kann sich durchsetzen. Und daran ändert auch ein verrutschter Bauhelm nichts. ROLA