Hysterie zwischen Holztieren

Pedro Almodóvars „Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs“ steigert sich im Saalbau Neukölln zum Veitstanz

Offensichtlich ist dem Menschen der Drang nach dauerhafter Bindung eingeschrieben. Doch leicht verrutscht das Ideal ins Pathologische, und die „Liebenden“ überschlagen sich im Beziehungslaufrad wie die Hamster.

Der Absurdität von Liebesdingen hat sich Pedro Almodóvar in seinem – hierzulande wohl bekanntesten – Film „Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs“ angenommen. Die Theatergruppe des „Saalbau Neukölln“ hat daraus jetzt ein Bühnenstück gemacht. Die Farce, mit der das Enfant terrible des spanischen Kinos 1988 internationalen Durchbruch erlangte, ist ein überspitzt-karnavalesker Reigen, dessen Figuren sich von jeder real zu nennenden Beziehungsgeschichte lösen. Kino sei Dank amüsiert die Darstellung der heillos verkitschten Innenwelt, in die Almodóvar den Zuschauer entführt. Sowohl das bürgerliche, mit Blumen, Ledercouch und Holztierskulpturen voll gestopfte Appartement, zentraler Handlungsort der Geschichte um Pepa und Ivan, als auch die psychische Kondition der Charaktere wird einem da um die Ohren gehauen. Die hysterische, frisch verlassene Pepa, die zwischen furiosen Racheakten und Schlaftabletten-Ohnmacht switcht, ihre von Verfolgungsangst geplagte Freundin Candela, Ivans softer Sohn Carlos und seine herrische Verlobte Marisa breiten im High-Speed-Tempo ihre Befindlichkeiten aus.

In der Theaterfassung von Rüdiger Walter Kunze muss sich dieser Wahnsinn, den man von den großen Filmbildern her kennt, in einem winzigen Theaterraum entwickeln, der nicht mal eine abgesetzte Bühne hat. Aber das ist auch die Chance der Inszenierung „No. 4 Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs – Matadore“.

Die körperliche Nähe zwischen Darstellern und den drei Dutzend Zuschauern, die der kleine Saal in Neukölln fasst, macht die Theaterfiktion greifbar amüsant. In einem an Almodóvars Ausstattung orientierten Bühnenbild – auch hier gibt es Couch, Pflanzentapete und Afrika-Mitbringsel in der Glasvitrine – agieren die Schauspieler mit offensichtlicher Freude an dem Veitstanz der Komödie. Vor allem die Französin Catherine Houssay erfüllt als Pepa das Klischee von der sitzen gelassenen erotischen Frau, die sich mit aller Hysterie gegen den Verrat ihres Liebhabers Ivan und gegen mögliche Konkurrentinnen auflehnt. Mit Körpereinsatz und maliziösem Mienenspiel gibt Houssaye den Drachen Pepa, die taktiert, Intrigen einfädelt, ohrfeigt und, wenn es sein muss, Dekolleté zeigt.

Platon schrieb, dass die Liebe zwischen Menschen von der Suche nach der verloren gegangenen Hälfte des eigenen Selbst motiviert sei. Jeder Topf sucht seinen Deckel, sagt der Volksmund. Den abwesenden Feigling Ivan begehren nun gleich drei Frauen, da stimmt etwas nicht in der Rechnung. Ivan, als in sich selbst erstarrte spanische Eleganz von Gerhard Kulig gespielt, tritt fast nur als Schemen in Erscheinung. Er spricht dann Textpassagen aus einem anderen Almodóvar-Film, „Matador“, der der Stierkampfästhetik huldigt und sie an das Sexuelle bindet.

Die Verbindung beider Filmthemen ist leider der Schwachpunkt der ansonsten gelungenen Off-Inszenierung, denn das Motiv hierfür wird in Kunzes Stück nicht deutlich. Wer „Matador“ nicht kennt, fragt sich, was diese Meditiation über die „Schönheit des Tötens“ in dem Beziehungszirkus soll. Da bleibt das Gesagte – ohne seinen Handlungshintergrund – peinlich machistisch und uninteressant. Könnte man, wie bei der Postproduktion von Filmen, die „Matador“-Passagen herausnehmen, dann wäre das ein sehr gutes Stück. JANA SITTNICK

Bis 20. 1. 02 täglich im 20 Uhr, im Saalbau Neukölln, Karl-Marx-Straße 141. Kartentel.: 68 09 37 79