herr tietz macht einen weiten einwurf
: FRITZ TIETZ über Staurennen

Formel 1 auf der Mittelspur

Sie nennen ihn den kleinen Schumi oder Schumi zwei. Gemeint ist der Motorsportler Ralf Schumacher, der jüngere und kinnkürzere Bruder des Formel-1-Weltmeisters Michael Schumacher, genannt Schumi. Ich habe übrigens das Kürzel „Schumi“ lange Zeit für eine bloße Verniedlichung des Nachnamens Schumacher gehalten. Mittlerweile tendiere ich eher zu jener Spitznamenherleitungstheorie, wonach „Schumi“ ursächlich aus „Schu“ wie Schumacher und „mi“ wie Michael zusammengesetzt wurde. Daraus folgte dann allerdings, dass man den Schumi-Bruder Ralf eigentlich Schura rufen müsste.

Egal. Denn längst hat Ralf Schumacher einen neuen Spitznamen weg: Brillen-Schumi heißt er, seit er neulich abends auf dem Kölner Autobahnring mit seinem BMW in ein Stauende raste. Zudem hatte er sich erst kurz zuvor als Brillenträger geoutet und eine Sehschwäche zugegeben, von der bisher nichts bekannt war. Beides zusammen, Auffahrunfall und Brille, haben einige Spekulationen über Schumachers Formel-1-Tauglichkeit ausgelöst. „Wie behält er jetzt im Rennen den Durchblick?“, sorgte sich etwa Bild und frug: „Fährt er in der Formel 1 mit Brille?“

Letzteres wurde von Ralf Schumacher bereits ausgeschlossen. Umso entschiedener haben darauf einige Kollegen die Einführung eines neuen Fahnensignals ins Reglement gefordert: Drei schwarze Punkte auf gelbem Grund, die Blindenfahne; sie soll fortan geschwenkt werden, wenn Brillen-Schumi ins Rennen geht. Schumacher versicherte unterdessen, dass er eigentlich nur sehr schwach kurzsichtig sei. Im Übrigen fänden Formel-1-Rennen auch nicht im Dunkeln statt, wie das bei seinem Stau-Crash der Fall war. Und außerdem bilden sich bei Rennen keine autobahntypischen Staus, in dessen Ende er hineinrasen könnte, so möchte ich ergänzen – und dies zugleich bedauern, weil ich eben das für eine Bereicherung der Formel 1 hielte: den ins Rennen eingebauten Stau.

Das dürfte für einige hübsche neue Unwägbar- und Unfallträchtigkeiten im Formel-1-Sport sorgen. Vor allem aber wäre das dessen längst überfällige Anpassung an die Realität auf unseren Straßen, da ja die wahre Kunst des Autofahrens schon lange nicht mehr darin besteht, möglichst schnell zu fahren. Wahre Meisterschaft zeigt sich heutzutage darin, wie schnell einer durch einen Stau kommt. Zum Ablauf eines Staurennens nur so viel: Nach der Hälfte eines bis dahin herkömmlichen Formel-1-Laufs werden die Boliden vom Rundkurs runter auf eine dreispurige Autobahn geleitet. Dort ist zuvor ein Stau gebildet worden, der sich nur langsam auflöst, wie es im Verkehrsfunk immer so schön heißt. Durch diesen Stau müssen die Fahrer durch, ehe es zur zweiten Halbzeit zurück auf den High-Speed-Kurs geht. Dabei wird es schon wegen der tempohohen Annäherung des Fahrerfeldes an das Stauende zu manch heikler Situation kommen; wer zu früh bremst, verliert. Im Stau selbst dürften gravierendere Positionsverschiebungen möglich sein als beim Boxenstopp. Nur mal angenommen: der führende Fahrer entschließt sich, den Stau auf der Standspur zu überholen, wo er jedoch bald – man kennt das doch – von zwei Lkw ausgebremst und eingekeilt wird. Schon kann die gesamte Konkurrenz auf der Mittelspur mühelos an ihm vorbeiziehen.

Die Wahl der Mittelspur ist sowieso die beste, die man im Stau treffen kann. Erfahrene Staufahrer wissen das. Auch wenn es auf der Überholspur zeitweilig schneller zu gehen scheint. Am Ende ist immer die Mittelspur die schnellste. Ich habe es etliche Male getestet und mir manch heimlichen Wettkampf daraus gemacht. Auf meiner Lieblings-Staustrecke, der A 7 zwischen Hamburg-Harburg und dem Elbtunnel, wo ich bestimmt schon ein Jahr meines Lebens in Staus verbracht habe. Mindestens.

Fotohinweis: Fritz Tietz, 42, lebt als Nachfahre ostpreußischer Einwanderer in der Nordheide und treibt gelegentlich Sport.