Politiker ohne Geheimnis

Sabine Stamer hat die erste Daniel-Cohn-Bendit-Biografie geschrieben. Darin erfährt man mehr über den Grünen als über den „roten Dany“

Die erste Biografie über Daniel Cohn-Bendit? Klingt überraschend, denn über den Mann, den alle nur „Dany“ nennen, scheint irgendwie schon alles bekannt zu sein.

Was allerdings nicht daran liegt, dass über ihn schon alles geschrieben wäre, sondern daran, dass er seit Jahrzehnten eine Medienpersönlichkeit ist, nicht wegzudenken aus egal welcher politisch relevanten Debatte. Man kennt ihn, wie er ungebügelt und ungebürstet in seinem Fernsehtalksessel lümmelt. Zudem ist Cohn-Bendit das personifizierte Prinzip Offenheit. Er ist natürlich. Er redet ungeschützt. Er hat kein Geheimnis.

Und wenn er eines hätte, so hat es ihm die Journalistin Sabine Stamer jedenfalls nicht entrissen. Ihre Biografie beginnt mit Cohn-Bendits Geburt im April 1945 als Kind exilierter deutscher Juden im südfranzösischen Montauban und endet mit seinem Einsatz im französischen Kommunalwahlkampf Anfang 2001. Die Kindheit zwischen Deutschland und Frankreich gerät recht kurz, sein Einsatz als Revolutionär „Dany le Rouge“ auf den Barrikaden von Paris im Mai 1968 sehr ausführlich – so ausführlich, dass der längste Generalstreik der französischen Nachkriegsgeschichte bei Stamer eher wie eine Solikundgebung für Cohn-Bendit aussieht.

Der Frankfurter Sponti, der Dezernent für Multikulturelles, der Europaparlamentarier: Die Stationen in seinem Leben hat Stamer getreulich nachgezeichnet. Auch Dany, der Fußballfan, Dany, der Vater eines Sohnes, und ein ganz klein bisschen Dany, der „Freund der Frauen“ (angeblich geht die Erfindung des Frauenbuchladens auf ihn zurück), werden vorgestellt. Insofern bleibt auch der Privatmann Cohn-Bendit kein Unbekannter.

Doch Stamer scheitert eben an dessen hervorstechender Eigenschaft, die sie selbst in immer neuen und oft auch gleichen Worten beschreibt: Seine Ungezwungenheit, die sich im Blick der (vor allem medialen) Öffentlichkeit in Geheimnislosigkeit übersetzt. Cohn-Bendits „klare blaue Augen“, seine „verwuschelten Haare“, vor allem aber das „spitzbübische Lächeln“, mit dem „der kleine Schlingel“ die Menschen für sich und seine „verrückten Ideen“ einnehmen kann, haben auch Stamer eingenommen. Wobei die Wortwahl in dem Versuch, Cohn-Bendits wilden Charme zu beschreiben, zwangsläufig altbacken und unbeholfen hinter ihrem Objekt herstolpert.

Cohn-Bendits Charisma funktioniert durch Vertrauen, nicht durch Unheimlichkeit. „Sein Selbstbewusstsein“, schreibt Stamer, „verleiht ihm die innere Unabhängigkeit“, die ihn davor rettet, sein Heil im Opportunismus zu suchen. „Nein, davor bewahrt ihn sein Größenwahn.“

So selbstsicher und „frei von typisch deutschen Skrupeln“, wie Stamer schreibt, wird Cohn-Bendit zum Beispiel in der Frage eines Kriegseinsatzes der Bundeswehr zu einem Propheten seiner Partei. Im Dezember 1994 erklärte er, dass der erste Grüne mit außenpolitischer Verantwortung schon noch merken werde, dass die deutsche „Sonderrolle in Paris, London und Warschau nicht mehr akzeptiert wird“.

Stamer hat einige solcher Zitate auch aus dem Materialschatz rings um den Kosovokrieg gefunden, die Cohn-Bendits Rolle als Stichwortgeber der Grünen und zwanglosen Realpolitiker hervorheben: „Ich lasse mir von Frau Ditfurth mit ihrem Panzerpazifismus ihre Auseinandersetzung mit der Vergangenheit nicht überstülpen“, wirft er der Frankfurter Altlinken und den Gegnern eines Einsatzes in Bosnien schon 1993 an den Kopf.

Im durchsetzungsfähigen Doppelpack mit Joschka Fischer macht Cohn-Bendit die Grünen in den 80er-Jahren regierungsfähig, in den 90ern kriegstauglich. Wo Sabine Stamers Stoff diese These belegt, wird die Biografie zu einer knappen, aber mitreißenden Geschichte der Grünen unter besonderer Berücksichtigung des Mitglieds Cohn-Bendit. Wo sie sich wieder ganz ihrer Hauptperson widmet, prallt sie an seiner kindlichen Ungebrochenheit ab.

ULRIKE WINKELMANN

Sabine Stamer: „Cohn-Bendit. Die Biografie“, 288 Seiten, Europa-Verlag, Hamburg/Wien 2001, 19,90 € (36,50 DM)