Hysterische Überreaktion

Schilys Sicherheitspaket bedroht die bürgerlichen Freiheiten – und das ist überflüssig. Strafgesetze und Fahndungsmethoden reichen längst aus zur Terrorbekämpfung

Nach dem 11. September ist nichts mehr wie vorher. Dieser Satz schlägt einem nun seit fast drei Monaten entgegen, und wer die Bilder der einstürzenden Twin Towers vor Augen hat, wird dieser Aussage zunächst zustimmen. Nicht nur die Dimension der Anschläge ist neu. Auch die Akribie, mit der der New Yorker Massenmord über Jahre vorbereitet wurde, ist einzigartig. Und anders als etwa bei der Roten Armee Fraktion bleiben die Motive der Aggressoren weitgehend im Dunkeln. Statt konkrete Forderungen zu erheben, erklären sie dem „Satan“ und den „Kreuzrittern“ einen „heiligen Krieg“. Dass die Attentäter, die weitgehend unauffällig in der Mitte einer aufgeklärten Gesellschaft wie der Bundesrepublik gelebt haben, den eigenen Tod in Kauf nahmen, macht alles noch unheimlicher.

Keineswegs neu dagegen ist die Reaktion der Gesetzgeber und der Sicherheitsbehörden. Von Washington bis Berlin, von Paris bis London wird hysterisch überreagiert. Und weil es darum zu gehen scheint, den neuen Herausforderungen möglichst schnell und effizient entgegenzutreten, werden mangels Alternative nur die alten Wunschzettel hervorgekramt – es wird einem Obrigkeitsstaat gehuldigt, der seinen Bürgern ein „Recht auf Sicherheit“ verspricht, der aber gleichzeitig die ohnehin nicht allzu ausgeprägte innere Liberalität bedroht.

Schilys Sicherheitspaket suggeriert einen Handlungsbedarf, der nicht vorhanden ist. Instrumente zur Terrorbekämpfung gibt es mehr als genug, von den Strafgesetzen bis zu den Fahndungsmethoden. Sie lassen sich auch gegen islamistischen Terror einsetzen. Und die Mittel der Fahnder sind nicht nur vielfältig – sie sind heute schon außerordentlich problematisch. So wurden im Zuge der RAF-Fahndung den Ermittlungsbehörden Befugnisse eingeräumt, die weit über die klassischen Ermittlungsmethoden der Polizei hinausreichten. Das gilt etwa für die Bestimmungen zur Telefonüberwachung (Deutschland ist beim Abhören Weltmeister), für den Einsatz von V-Leuten und verdeckten Ermittlern, für die Schleier- oder die Rasterfahndung. Bei ihrer Einführung galten diese Regelungen als rechtsstaatlich bedenklich; auch sie wurden im Schatten terroristischer Anschläge durch die Parlamente gepaukt. Im Kampf gegen den Terror haben sie sich aber nicht bewährt.

Statt die früheren „hysterischen Übertreibungen“ (so der ehemalige Innenminister Baum) zu korrigieren, geht Schilys Sicherheitspaket nun über das hinaus, was im Kampf gegen die RAF begonnen wurde. Es ist nicht mehr die konkrete einzelne Straftat, die verhindert oder geahndet werden soll. Es geht um das Vorfeld möglicher Straftaten, um die Abwehr potenzieller Risiken, die noch in weiter Ferne liegen. Schily möchte eine Art Frühwarnsystem errichten, das weit in die bürgerlichen Freiheitsrechte eingreift. Unter anderem will der Innenminister Gruppenanfragen aus dem Ausländerzentralregister ermöglichen, ohne dass dafür konkrete Verdachtsmomente genannt werden müssen. So werden alle in Deutschland lebenden Ausländer zum Verdachtsfall erklärt. Schlimmer noch, Schily will Ausländer abschieben können, wenn nur der bloße Verdacht auf eine Unterstützung von terroristischen Gruppen vorliegt. (Dies haben die Grünen zwar wieder aus dem Gesetzentwurf entfernt, doch besteht die Gefahr, dass der Passus über die Union im Bundesrat wieder hineinkommt.) Die Unschuldsvermutung, eine der Säulen des Rechtsstaates, wird demontiert.

Dass dieses Sicherheitspaket zur Aufklärung, Verfolgung und Vermeidung der neuen terroristischen Bedrohung beiträgt, ist unrealistisch. Und islamistische Terroristen wird Schilys Frühwarnsystem kaum aufspüren, schließlich soll deren Kennzeichen ja sein, dass sie sich unauffällig in Deutschland bewegen. Das Sicherheitspaket ist ein gesetzgeberisches Placebo – aber mit schwerwiegenden Nebenwirkungen. WOLFGANG GAST