Mehr Staat statt mehr Sozialabbau

200 alternative Ökonomen werfen der EU „politischen Fundamentalismus und praktische Unbeweglichkeit“ bei der Wirtschaftspolitik vor. „Euromemorandum 2001“ fordert staatliche Eingriffe in Höhe von 64 Milliarden Euro

von BEATE WILLMS

Schrumpfendes Wachstum? Rezession? Für die Gremien der Europäischen Union scheint die weltwirtschaftliche Talfahrt keinen besonderen Schrecken zu entwickeln. Das wirft ihnen zumindest eine Gruppe europäischer Ökonomen vor. EU-Kommission und Europäische Zentralbank seien ein „erstaunliches Beispiel für intellektuelle Engstirnigkeit, politischen Fundamentalismus und praktische Unbeweglichkeit“, heißt es im jetzt veröffentlichten „Euromemorandum 2001“. Angesichts der wachsenden Gefahr einer schweren Krise sei es „auffallend und äußerst beunruhigend“, dass die Gremien keinerlei Anstalten machten, gegenzusteuern – vor allem, da sie gleichzeitig stur daran festhielten, den europäischen Sozialstaat weiter abzubauen.

Die Wirtschaftswissenschaftler befürchten deshalb eine Arbeitslosigkeit in „nie dagewesener Höhe“, die schon bestehende Ungleichheiten weiter vertiefe. Als Alternative schlagen sie ein Sofortprogramm zur Bekämpfung der Rezession vor, begleitet von einer Zinssenkung durch die Europäische Zentralbank und die Auflage von Euro-Anleihen.

Das Euromemorandum 2001 ist das vierte Gutachten der „Arbeitsgruppe europäischer Wirtschaftswissenschaftler für eine alternative Wirtschaftspolitik“, die seit 1995 regelmäßig Vorschläge für eine alternative Politik ausarbeitet, die sich an Vollbeschäftigung, sozialer Sicherheit und ökologischer Nachhaltigkeit orientiert. Mehr als 200 Ökonomen aus 14 europäischen Staaten haben es unterzeichnet.

„Es ist leichtsinnig, dass die EU-Kommission so tut, als sei die Situation in der Welt die gleiche wie vor einem Jahr“, sagt Jörg Huffschmid, Professor an der Universität Bremen und von deutscher Seite federführend beim Memorandum. Im Gegensatz zu den offiziellen Beteuerungen seien Eingriffe sowohl möglich als auch nötig.

Laut Euromemorandum gehört dazu vor allem ein Initiativprogramm in der Größenordnung von einem Prozent des EU-Bruttoinlandsprodukts, etwa 64 Milliarden Euro. Damit sollen die nationalen Regierungen in Verkehr, Umweltsanierung, Wohnungsbau oder öffentliche Dienstleistungen investieren und damit die Wirtschaft ankurbeln. Finanziert werden könnte es nach Ansicht der alternativen Ökonomen über die gemeinsame Auflage von Euro-Anleihen. Eine begleitende „spürbare Zinssenkung“ durch die Europäische Zentralbank soll einen zusätzlichen Schub entfalten.

Mittelfristig fordern die Wirtschaftswissenschaftler umfassende Reformen. So soll die Rolle der EZB überdacht, Vollbeschäftigung als neues Ziel für die europäische Geldpolitik formuliert und der EU-Haushalt auf eine Größenordnung von 5 Prozent des EU-BIP ausgeweitet werden. Im Sozialbereich schlägt die Euromemo-Gruppe vor, Mindeststandards für den Sozialstaat zu erarbeiten. Dabei gehe es sowohl um die finanzielle Ausstattung der Sozialpolitik wie auch um konkrete Ziele.

„Im Moment hat die EU das Vertrauen verloren“, so Huffschmid zur taz. In der Bevölkerung mache sich das Gefühl breit, die europäische Einheit diene im Wesentlichen den Interessen des Kapitals und nicht den Menschen. Bestes Beispiel dafür, dass dieses Gefühl eine reale Grundlage hat, sei der so genannte Stabilitäts- und Wachstumspakt. In einer alternativen Politik habe er deswegen keinen Platz. Stattdessen schlagen die Memorandum-Autoren einen „Wohlstands-Entwicklungsplan“ vor.