Polizistenmorde ungesühnt?

Die Polizei beklagt eine hohe Zahl von versuchten Morden an ihren Beamten. Eine Studie kritisiert jetzt, dass die Justiz nur in 14 Prozent aller Fälle zum selben Schluss gelangt

Die Tatorte sind oft keine Problembezirke, sondern eher bürgerliche Viertel

BERLIN taz ■ Wenn die Delegierten der internationalen Polizeigewerkschaft UISP heute in Bonn zu ihrer Fachkonferenz „Gewalt gegen Polizeibeamtinnen und -beamte“ zusammenkommen, werden sie den Ausführungen von Thomas Ohlemacher ganz besondere Aufmerksamkeit schenken. Im Auftrag der deutschen Gewerkschaft der Polizei (GdP) untersucht der Polizeiforscher vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) seit dem Sommer 2000 Angriffe mit vorsätzlicher Tötungsabsicht. Grund für den ungewöhnlichen Forschungsauftrag der Polizeigewerkschaftler ist die Tötung von acht PolizistInnen im vergangenen Jahr.

Seit kurzem liegt ein Zwischenergebnis des Forschungsprojektes vor, das die Polizei einigermaßen ratlos macht, wie GdP-Geschäftsführer Wolfgang Dicke einräumt. Nur knapp die Hälfte aller Fälle, in denen PolizeibeamtInnen mit einer Tötungsabsicht angegriffen wurden, so haben die Polizeiforscher bei ihrer Aktenauswertung entdeckt, werden von der Justiz auch als Tötungsdelikt angeklagt. Vor Gericht reduziert sich der Tatvorwurf noch weiter. Lediglich ein Drittel jener Fälle, in denen die Staatsanwaltschaft ein versuchtes Tötungsdelikt anklagt, führen auch zu einer entsprechenden Verurteilung. Bei allen anderen reduziert sich der Vorwurf auf weniger schwere Delikte. Damit werden unter dem Strich nur etwa 14 Prozent aller Täter, gegen die die Polizei ursprünglich den Tatvorwurf des versuchten Polizistenmordes erhoben hatte, tatsächlich auch deshalb verurteilt.

Die Gründe für diese gänzlich unterschiedliche Bewertung von Polizei und Justiz sind gegenwärtig noch unklar. Möglich sei, sagt Dicke, dass am Ende die zwingend notwendigen Beweise nicht zu erbringen seien. Für die Polizei gelte jedoch der „generelle Ermittlungsansatz, zunächst vom schwersten Delikt auszugehen“. Die GdP möchte nun auch die justizielle Aufarbeitung von Tötungsversuchen an Zivilpersonen darauf untersuchen lassen, ob es Parallelitäten gibt. Dass die Justiz Tötungsversuche an Polizisten und Normalbürgern unterschiedlich beurteilen könnte, mag sich Dicke lieber gar nicht erst vorstellen. Denn dann, so meint er, „haben wir einen Fall“.

Bemerkenswert sind aber auch die sonstigen bisherigen Ergebnisse der niedersächsischen Forscher. Das größte Risiko, angegriffen zu werden, tragen demnach nicht etwa Sondereinsatzbeamte, die gezielt gegen Gewalttäter und Schwerkriminelle eingesetzt werden, sondern die Funkstreifenbesatzungen. Hier entwickeln sich Angriffe mit Tötungsvorsatz überwiegend bei Fahrzeugkontrollen oder beim Ansprechen einer Person, der Überprüfung ihrer Identität oder der Verfolgung von Verdächtigen. Durchschnittlich kommt jeder dreizehnte derartig angegriffene Beamte ums Leben. Die Angreifer sind fast immer deutsche Männer mittleren Alters. In der Hälfte aller Fälle sind sie mit Schusswaffen bewaffnet und nur selten alkoholisiert. In jenen Fällen, bei denen Polizisten ohne eine Tötungsabsicht attackiert werden, finden die Angriffe in erster Linie bei Dunkelheit im öffentlichen Raum statt. Überraschend ist, dass sie nicht etwa in Problembezirken, sondern in eher bürgerlichen Vierteln stattfinden, die zuvor als ungefährlich galten. Auch hier handelt es sich zu 75 Prozent um Deutsche, sind die Täter fast immer männlich und zumeist betrunken.

Seit 1945 wurden nach GdP-Angaben knapp über 380 Polizisten von Straftätern getötet. Die meisten Angriffe mit Tötungsabsicht gab es von 1985 bis 1994, seither sinken die Zahlen wieder. Besonders überraschend ist für die GdP zudem, dass zwischen Tötungsabsicht und -erfolg „keine Parallelität zu erkennen ist“. So kamen 1994 bei insgesamt 82 Tötungsangriffen nur zwei Polizisten ums Leben. 1998 starb bei 33 Angriffen ein Beamter. Im vergangenen Jahr bei 35 Attacken jedoch acht. OTTO DIEDERICHS