Wer in Afghanistan geboren ist, macht sich schon verdächtig

Nachbarn denunzieren, Betriebsräte rufen nach Kündigung: Was sich nach dem 11. September für viele Bürger im Land verändert hat – einige Beispiele aus dem neuen Alltag

BERLIN taz ■ Am vorletzten Sonntag im Oktober übte der Theologe Otto B. in der Kirche St. Birgitta im bayerischen Unterhaching den Orgel-Solopart einer Messe von J. G. Rheinsberger. Seine zehnjährige Tochter R. langweilte sich ein bisschen. Sie nahm die kopierten Zeitungsartikel über Ussama Bin Laden, die ihr Vater zur anschließenden Diskussion in der Pax-Christi-Gruppe mitgebracht hatte, und verteilte sie in den Briefkästen der Nachbarschaft. Sie wurde der Polizei gemeldet.

Über seinen Anrufbeantworter erfuhr Otto B., dass ihm nunmehr eine Anzeige wegen Störung der Sicherheit und Ordnung drohe. Außerdem sprach die Polizei davon, dass er ja schon vor 15 Jahren vor Wackersdorf aufgefallen sei, als er an Anti-Atom-Aktionen teilgenommen hatte. Später erklärte die Polizei auch, dass man B. das Sorgerecht entziehen könne, da er Kinder zur Agitation zwinge.

Mitte November fanden an einigen Hamburger Gymnasien Berufsorientierungstage statt. Homeira Malikzada wollte an dem Ausflug zum Airbus-Werk teilnehmen. Die 18-Jährige, geboren in Afghanistan, ist Deutsche und lebt seit 12 Jahren in Deutschland. Der Luft- und Raumfahrtkonzern EADS verweigerte ihr den Zutritt zum Werksgelände, wegen der „sensitiven Situation“ in der Luftfahrt. Homeiras Lehrer beschieden ihr, sie könne sich doch auch anderswo beruflich orientieren.

Otto B. hat nichts zu befürchten. Er ist findig, und die Münchner Polizei ist nun in der Verlegenheit, seinem Anwalt und der Presse zu erklären, wieso sie Datenbestände über niedergeschlagene Wackersdorf-Verfahren abrufen konnte, die eigentlich seit fünf Jahren gelöscht sein müssten. Homeira Malikzada durfte zwar nicht ins Airbus-Werk auf der Elbhalbinsel Finkerswerder, aber ihre Mitschüler regten sich gemeinsam mit ihr auf, und die EADS stand am Pranger.

Schwieriger ist da schon der Fall des Metin Serefoglu. Dem 41-jährigen Vater von fünf Kindern wurde im September direkt nach den Anschlägen vom Elektrokonzern Kostal im sauerländischen Lüdenscheid fristlos gekündigt. Serefoglu hatte sich geweigert, an einer Gedenkminute für die Terroropfer teilzunehmen. Die Güteverhandlungen sind bislang gescheitert, Ende Februar ist ein Termin vorm Arbeitsgericht angesetzt. Anwalt Ingo Theissen Graf Schweinitz rechnet damit, das Verfahren zu gewinnen, sodass Serefoglu seinen Job zurückbekommt. Der Arbeitgeber, sagt Theissen, sei im Übrigen in den Fall „eher reingeschlittert. Angeregt hat die Kündigung der Betriebsrat.“

Manche Fälle von behördlichen Überreaktionen und unternehmerischem Fehlverhalten werden bekannt. Andere Veränderungen im Alltag nach dem 11. September klingen weniger spektakulär, dafür betreffen sie umso mehr Menschen. „Der Aufwand etwa bei der Verlängerung von Aufenthaltserlaubnissen ist stark gestiegen“, erklärt Huseyin Avgan, Bundesvorstand des türkisch-deutschen Arbeiterföderation DIDF. „Die Leute berichten, dass sie jetzt jeden Behördengang zweimal machen müssen.“

ULRIKE WINKELMANN