DIE K-FRAGE UND KEIN ENDE: VERHILFT SCHILL STOIBER ZUR KANDIDATUR?
: Richter Gnadenlos und die Urangst der CDU

Normalerweise haben Parteien ein Programm. Vor Wahlen wird der Kandidat bestimmt, der dieses Programm am effektivsten verkörpert. So sollte es sein. In Wirklichkeit ist es oft ziemlich anders: Kandidat wird, wer die größeren Siegeschancen hat, nicht, wer zum Programm passt. Die Union ist derzeit dabei, mit der so genannten K-Frage eine neue Variante zu entwickeln: Alle Reste von Programm und Politik werden durch Spiel ersetzt. Genauer: durch Spekulationen. Das geht zum Beispiel so: Die Liberalen in der CDU müssten eigentlich für Merkel sein. Wenn Stoiber aber 2002 antritt und verliert, wird 2006 ein liberaler CDUler Kandidat werden. So verwirrt ist die Union derzeit.

Um die Konfusion komplett zu machen, gibt es in dem Spekulationsspiel „K“ noch einen Joker: Ronald Schill. Denn Schills Partei wird im April in Sachsen-Anhalt bei den einzigen Landtagswahlen vor der Bundestagswahl antreten – und dort kann sie, wie in Hamburg, 20 Prozent gewinnen. Wenn es so kommt, droht einer von Angela Merkel geführten Union in vier Monaten ein Horrorszenario: Schill tritt bundesweit an, die Merkel-Union steuert auf ein Wahldesaster zu. Und im Herbst verliert sie Wähler links und rechts: an die FDP, weil sowieso keiner mehr an einen Unionssieg glaubt, dafür umso mehr an Rot-Gelb. Und die Rechten wählen Schill, weil Merkel ihnen zu lasch wirkt.

Mit diesem Szenario kann man im Augenblick ziemlich gut Stimmung gegen Merkel machen. Es appelliert an eine Urangst der CDU: die Furcht vor der Zersplitterung des bürgerlichen Lagers. Und das wäre nichts anderes als die Zerstörung der historischen Leistung der CDU.

Dieses Szenario wirkt in der spekulationsbereiten Union als Propaganda für Stoiber. Ob es allerdings so kommen kann, weiß niemand – schon weil der Ostwähler, demoskopisch gesehen, ein unbekanntes Wesen ist: Er wählt oft nicht, was er vorher sagt. Und selbst wenn Schill im April reüssiert – ähnliche Siege sind im Westen, wo die Parteibindungen weit enger sind als im Osten, mehr als unwahrscheinlich. Auch ob Schills populistische Attitüden sich mit seinem Senatorenamt in Hamburg vertragen, darf man bezweifeln. Und offen ist, ob die Schill-Partei nicht den Weg aller rechtspopulistischen Parteien in der Bundesrepublik gehen wird: Selbstzerstörung durch Konzeptlosigkeit, Spaltung, Korruption und Querulantentum.

Kurzum: Solange sich die Union mit dem Wenn-dann-aber-Spiel beschäftigt, hat Rot-Grün nichts zu fürchten. Ernst wird es für Schröder erst, wenn sich die Union auf ein paar einfache Wahrheiten besinnen sollte. Zum Beispiel, dass es bei Bundestagswahlen oft so ist wie im Fußball: Man weiß vorher gar nicht, wie es ausgeht. STEFAN REINECKE