Den Haag: Anklage wegen Völkermordes

Das UN-Tribunal will Slobodan Milošević für alle Kriege in Exjugoslawien zur Verantwortung ziehen. Jugoslawiens früherer Präsident quittiert das Geschehen mit Beschimpfungen und demonstrativ zur Schau gestellter Langeweile

BERLIN taz ■ Für die Ankläger des UNO-Kriegsverbrechertribunals für Exjugoslawien steht nun explizit fest: Der frühere jugoslawische Präsident Slobodan Milošević plante zwischen 1992 und 1995 in Bosnien den Völkermord an Bosniern und Kroaten. In Anwesenheit von Milošević ließen die UNO-Richter gestern in Den Haag die erweiterte Anklageschrift auf Serbisch verlesen, um so den Beschuldigten direkt mit den von ihm „geplanten, angeordneten oder geduldeten Verbrechen“ zu konfrontieren.

Doch Milošević verzog keine Miene, als es unter anderem hieß, seine Politik habe als Ziel verfolgt, „die nichtserbische Bevölkerungsmehrheit aus weiten Teilen Bosnien-Herzegowinas dauerhaft zu vertreiben“. Zu diesem Zweck seien „vor allem gut ausgebildete, führende Mitglieder dieser Gemeinschaften zur Exekution bestimmt worden, teilweise nach vorbereiteten Namenslisten“. Als dann das Massaker von Srebrenica an über 7.000 Muslimen zur Sprache kam, schaute der Serbenführer gelangweilt vor sich hin.

Nach Verlesung der 29 Punkte umfassenden neuen Anklage zu Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und schweren Verletzungen der Genfer Konventionen, lehnte es Milošević ab, sich im Einzelnen für schuldig oder nicht schuldig zu erklären. Stattdessen setzte er zum Gegenangriff an: „Also was wir da gerade gehört haben, dieser schwachsinnige Text, dieser Gipfel an Absurdität, na, da sollte man mir doch anrechnen, dass ich für Frieden in Bosnien eintrat. Die Verantwortung für den Krieg liegt bei den Kräften, die Jugoslawien zerstört haben, und bei deren Helfershelfern, nicht bei Serbien, nicht beim serbischen Volk und nicht bei den serbischen Politikern . . .“ Schnell wurde das Mikrofon abgedreht.

Fortan hörte der mutmaßliche Kriegsverbrecher stumm der weiteren Verhandlung zu, sichtlich gelangweilt von den Verfahrensfragen, ob man Milošević für jeden der einzelnen Kriege in Kroatien, Bosnien und Kosovo drei separate Prozesse anhängen sollte oder ein Mammutverfahren. Die Anklagebehörde sprach sich für ein Verfahren aus, da die Akteure aller drei Waffengänge die gleichen gewesen und die Logik der Vertreibung aller Nichtserben das erklärte Ziel Milošević’ gewesen seien. Die Strafkammer hatte angezweifelt, dass eine stichhaltige juristische Begründung für die Zusammenfassung aller drei Anklagen in ein Verfahren bestehe.

Wie immer diese Verfahrensfrage ausgeht, eines steht fest: Das Tribunal hat sich mit der Anklage weit vorgewagt. Es wird nicht einfach werden, Milošević nachzuweisen, dass er es war, der einen Genozid in Bosnien plante und nicht nur von jedem militärischen Schritt seines ehemaligen Statthalters Radovan Karadžić und dessen General Ratko Mladić in Kenntnis gesetzt wurde. Das Tribunal geht davon aus, dass in Belgrad alle Verbrechen an Kroaten, Bosniern und Kosovo-Albanern ausgeheckt und umgesetzt wurden – aufgrund von bislang geheim gehaltenen Aufzeichnungen westlicher Geheimdienste. ROLAND HOFWILER