Hauptstadt des Erbrechens

19-Jähriger stirbt nach Brechmitteleinsatz. Abgeordnete diskutieren über Leben und Tod und eine Politik der Symbole  ■ Von Sandra Wilsdorf

Während im Rathaus die Politiker noch über ihn diskutierten, wurde der 19-jährige Kameruner gestern nachmittag für tot erklärt. Er starb, nachdem ihm, des Dealens verdächtig, am Sonntag im UKE gewaltsam Brechmittel verabreicht worden waren. Justizsenator Roger Kusch (CDU) kündigte an, dass er noch heute in Berlin obduziert werden soll, um die Ursache seines Todes festzustellen.

In der gestrigen Bürgerschafts-debatte ging es um Fragen von Le-ben und Tod, von Verhältnismäßigkeit und Menschlichkeit, und was man darunter so verstehen kann. Die GAL beispielsweise, die die Brechmitteleinsätze im Sommer mit auf den Weg gebracht hatte, distanzierte sich nun davon. Ihre Abgeordnete Dorothee Freudenberg forderte einen sofortigen Stopp der zwangsweisen Verabreichung.

Alle anderen Fraktionen jedoch stehen nach wie vor zu der Metho-de. Der CDU-Abgeordnete Joa-chim Lenders machte klar, worum es dem Schwarz-Schill-Senat vor allem geht: um Symbole. „Es darf nie wieder passieren, dass Polizis-ten Dealern gegenüberstehen, die dreist lächelnd ihre Drogen herunterschlucken und unbehelligt ihres Weges gehen.“ Der Schill-Abgeordnete Frank-Michael Bauer sagte über den Tod des 19-Jährigen: „Auch wir sind betroffen, aber das hält sich in Grenzen.“ Warme Worte fand der Schill-Abgeordnete für Hamburgs Drogenabhängige, ihre Verelendung und ihr Leiden an Hepatitis und AIDS. Zur Erinnerung: Als eine seiner ersten Taten schaffte der Senat die Ausgabe von Spritzen in Gefängnissen ab, und auch zum Thema Heroinambulanz äußert er sich höchstens dahingehend, dass er die Zahl der Probanden für zu hoch halte.

Vor der Bürgerschaftssitzung hatte der Wissenschaftsausschuss versucht, herauszufinden, was genau am Sonntag im Rechtsmedizinischen Instituts des UKE passiert ist. Als formal Zuständiger musste Wissenschaftssenator Jörg Dräger Rede und Antwort stehen. Dräger kündigte an, dass bis zur Klärung des schrecklichen Vorfalls ab sofort immer ein Anästhesist informiert werde, wenn Brechmittel verabreicht werden. Geschieht das unter Gegenwehr, müsse er auch anwesend sein.

Darüber hinaus offenbarten Hans Dieter Jüde, Ärztlicher Direktor des UKE, sowie Vertreter von Staatsanwaltschaft und Wissenschaftsbehörde, dass derzeit noch vieles unklar sei. Beispielsweise, wie lange der 19-Jährige auf dem Boden lag, während die Umstehenden darüber nachdachten, ob man ihn zum Spucken in den Nebenraum schaffen sollte – bis jemandem auffiel, „dass er sehr ruhig war“, so Jüde. Erst dann wurde eine Notfallversorgung eingeleitet. Möglicherweise zu spät. In dem Untersuchungsprotokoll steht außerdem nichts darüber, dass der Zustand des Kreislaufs auch während der Brechmittelvergabe überprüft wurde.

Unbeeindruckt von alldem: „Am Grundprinzip des Brechmitteleinsatzes wird sich nichts ändern“, verkündete Kusch gestern.