Von Klappbildern, Metamorphosen und Harlekinaden

■ Werner Nekes stellte im Focke-Museum seine täuschenden Bildmontagen vor: Eine „Vieltausendschau“

Heute gibt es sie noch als Partygags, Kinderspiele oder Design-Spielereien: Bilder, die man durch Umklappen, Herausziehen, Umdrehen oder andere Manipulationen so verändern kann, dass sie sich verwandeln und den Augen etwas Neues, Überraschendes vorspiegeln.

Dabei gehören sie historisch gesehen zu den ersten optischen Tricks und so ist es fast zwingend, dass der erste Vortrag im Rahmen der derzeit im Focke-Museum laufenden Ausstellung „Das verführte Auge“ von diesen Artefakten handelt. Der wohl renommierteste Experimentalfilmer des Landes, Werner Nekes, ist auch Sammler von Objekten aus der Geschichte der Medien. 150.00 Einzelstücke hat er inzwischen erworben, und auch die Ausstellung im Focke-Museum hat einige davon als Leihgaben erhalten.

Nun mag Nekes zwar der erste und einzige Professor für experimentellen Film des Landes sein, aber ein guter Redner ist er nicht. Ziemlich nuschelig erzählte er von den Anfängen dieser Kunst im 14. Jahrhundert, sprang dabei unvermitelt von Objekt zu Objekt und von Namen zu Namen, ohne weiter darauf Rücksicht zu nehmen, ob das Publikum ihm folgen konnte.

Man bekam den Eindruck, dass Nekes besser Filme machen als reden kann, und zum Glück hat er dies wohl auch selber gemerkt, denn 1995 hat er eine Reihe von filmischen Führungen durch seine Sammlung gedreht, und einen davon zeigte er dann nach seiner Einführung. In „Vieltausendschau“ wurde dann alles schnell viel klarer. Der Titel bezieht sich auf die Montagebilde, die man in beliebiger Reihenfolge aneinanderreihen kann, da die Ränder immer gleich abschließen, und mit denen man dann eine fast unendliche Zahl von Phantasielandschaften auslegen kann. Schon im 16. Jahrhundert war so eine spielerische „Weltauflösung in Atome möglich, mit denen dann etwas Neues zusammengefügt wurde“.

In ein medizinisches Lehrbuch aus dem 17. Jahrhundert wurden verschiedene bedruckte Papierschichten eingefügt, die man aufblättern kann, und so sieht man Schicht für Schicht immer tiefer in den menschlichen Schädel oder ins Gehirn hinein. In ein wunderschön gemaltes Buch, mit dem ein Architekt im 18. Jahrhundert dem König von England seine Umbaupläne für dessen Palast in Brighton verdeutlichen wollte, sind Klappbilder eingefügt, so dass man Gebäude und Landschaften mit einem Vorher-Nachher-Effekt sehen kann.

Mit solch kuriosen, durchweg schön gefertigten und liebevoll erhaltenen Objekten ist der Film prall gefüllt. Viele Klappbilder, sogenannte Harlequinaden, waren da zu sehen, in denen verschiedene Ober- und Unterteile so zusammengefügt werden konnten, dass der Effekt möglichst komisch war. Metamorphosen wurden durch Löcher im Papier oder durch Falttechniken möglich: sehr beliebt waren dabei offenschichtlich feine Herrschaften, die zu Tieren wurden, und Memento mori, bei denen sich Menschen in Skelette verwandelten.

Nach dem Film gab es dann auch noch eine Metamorphose bei Nekes selber, denn im kleineren Kreis war er schließlich nicht mehr so grummelig, sondern ganz und gar der Sammler, der stolz die Objekte seiner Begierde vorzeigte. Aus einer alten Ledertasche holte er u.a. ein paar wunderschöne Falt- und Klappbilder aus dem 18. und 19. Jahrhundert, die man erstaunlicherweise auch selber anfassen, entfalten und umklappen durfte. Und er reichte als besonderes Kuriosum einen Spazierstock aus der Zeit der französischen Revolution herum, in dessen Knauf das Profil von Marie Antoinette geschnitzt war, sodaß Royalisten einander daran mit einem Blick (auf den Schattenriss) erkennen konnten. Diese kleine Vorstellung eines obsessiven Sammlers war fast ebenso interessant wie Film und Vortrag selber. Wilfried Hippen