szenen vor gericht
: „Hallo, Ihr denkt wohl, ich bin doof!“ schrieb der Nestlé-Erpresser

Im Namen des Nebenbuhlers

Karsten Sch. hat Erpresserbriefe an die Firma Nestlé geschrieben. „Hallo, Ihr habt mich lange genug ausgebeutet!“, und „Hallo, Ihr denkt wohl, ich bin doof!“ stand darin, dazu die Forderung nach 100.000 Mark. Ansonsten, drohte Karsten Sch., wolle er Lebensmittel des Konzerns im Supermarkt vergiften. Sch. hat die Sätze aus Zeitungsschnipseln zusammengeklebt und mit dem Namen „Schnittchen“ unterschrieben, die fertigen Umschläge steckte er in Tempelhof in den Briefkasten. Das war im Oktober vergangenes Jahr. Gestern begann vor dem Amtsgericht Tiergarten der Prozess gegen den 35-jährigen Fahrdienstleiter der Berliner S-Bahn.

Karsten Sch. ist ein großer Mann, der schwer an seinem Körper trägt. Seine Haare sind lang und fransig, im Gesicht hat er einen Schnauzbart. Er sieht nicht aus, wie man sich ein „Schnittchen“ vorstellt. Aber Karsten Sch. wollte das auch nie sein, sagt er der Richterin. Genauso wenig war er an den 100.000 Mark interessiert. Er habe das alles gemacht, um seine Frau und seinen Sohn wiederzugewinnen, die ihm im vorangegangenen Sommer davongelaufen waren. Schnittchen war der neue Freund seiner Frau, ein Angestellter der Firma Nestlé. „Ich wollte ihn aus dem Weg schaffen“, meint Sch.

Wie zufällig klebte er auf die Umschläge der Erpresserbriefe Name und Adresse des Konkurrenten. Tatsächlich verhaftete die Polizei Oliver L., Spitzname Schnittchen, dann auch kurz darauf. Nach wenigen Stunden wurde L. indes wieder freigelassen, ihm konnte keine Schuld nachgewiesen werden.

Trotzdem gab Karsten Sch. nicht auf. Um den Verdacht gegen L. zu erhärten, füllte er Rattengift in zwei Packungen mit Nestlé-Schokolade und deponierte diese im Regal einer Reichelt-Filiale. Wenige Tage später präparierte er eine Packung Törtchen mit Nitroverdünnung und legte diese ebenfalls in einem Supermarkt ab. Dazu schickte er weitere Drohbriefe, wie immer mit Schnittchen unterschrieben.

Der Richterin erzählt Karsten Sch., seine Frau habe damals von den Aktionen gewusst. Sie hatte zu ihm zurückkehren wollen. Die zierliche Kerstin Sch., die vor dem Gerichtssaal auf ihre Zeugenvernehmung wartet, sagt jedoch, das sei gelogen. Auch der Staatsanwalt glaubt nicht, dass Karsten Sch. die 100.000 Mark nicht wollte. Kurz vor den Erpressungen soll der Angeklagte in Scheckkartenbetrügereien verwickelt gewesen sein. Der Prozess wird am Mittwoch fortgesetzt. KIRSTEN KÜPPERS