Das Glück liegt im Bodensatz

Lopez Mausere, vom Club der polnischen Versager, veranstaltet den angenehm unhippen „Leseabend“

Ein flotter Titel ist im Zweifelsfall immer das Entscheidende. Da scheint eine neue Lesereihe ohne attraktiven Programmtitel inmitten der ohnehin kaum mehr überschaubaren Berliner Literaturszene von vornherein zum Scheitern verurteilt. Geradezu ein hoffnungsloser Fall, möchte man meinen, wenn der Organisator der namenarmen Veranstaltungsserie, Lopez Mausere, gleichzeitig Vorsitzender vom „Club der polnischen Versager“ ist. Manchmal jedoch liegt das Glück eben im Bodensatz: Bereits seit Mitte Oktober richtet Mausere in der Galerie Neurotitan im Haus Schwarzenberg, also im letzten ranzigen Hinterhof inmitten der aufgedonnerten Hackeschen-Höfischen-Welt, seinen bizarren „Leseabend“ aus, den sogar der Berliner Senat freundlichst unterstützt.

Ein strenges oder gar ausgefeiltes Konzept gibt es nicht. Mit einem verschmitzten Lächeln auf den Lippen erklärt Mausere, der mit bürgerlichen Namen Wojciech Stamm heißt, er wolle hier keine neue Reformbühne veranstalten, auch keine Debütantenlesungenjunger wilder Offoff-Literaten.Eingeladen werden eher die üblichen Verdächtigen unter den Berliner Autoren. Dabei solle vor allem ein Mosaik der verschiedenen Nationen entstehen, betont der gebürtige Danziger, den es 1989 in den Westen zog. Seit fast neun Jahren lebt er nun schon in Berlin. Seine ersten offiziellen Leseversuche unternahm Mausere 1998 im Rahmen der „Sklavenmarkt“-Abende, jene legendäre, längst eingestellte Veranstaltungsreihe „aus dem Unterleib Berlins“, um die sich damals die linke Literaturszene mit DDR-Hintergrund scharte.

Heute performen die ehemaligen Literaturaktivisten vom Prenzlauer Berg freundschaftsdienstlich bei Mausere in der Hinterhofgalerie: Bert Papenfuß und Heinrich Dubel etwa waren schon da, Wladimir Kaminer sowie Hartmut Fischer von Juliettes Literatursalon haben für das kommende Jahr zugesagt. Auch, wenn es dann vielleicht keine Fördergelder mehr gibt.

Die Qualität der „Leseabende“ sowie der Publikumsverkehr ist schwer vorhersehbar, es gab großartige Vorträge und magere Donnerstage. Manchmal gilt wohl auch beides, wie etwa für die Lesung vom polnischen Chef-Versager persönlich. Als der beim letzten „Leseabend“ seine „Sowjetischen Kastagnetten“ und andere eigenwillige Prosa rezitierte, versammelte sich lediglich eine kleine anarchische Fanfamilie im hintersten Zipfel der verwinkelten Galerieräume. Der andernorts gepflegte Lesestubenhipnessfaktor tendiert hier gegen Null, sehr angenehm, und zusammen mit einer entsprechenden Menge Rotwein erwärmt sich so umgehend das Klima im feucht-kühlen Eck. Es ging weniger um die „Kunst des Vortragens“, Mausere stand wie zufällig hinterm Mikro. Monotone Beats vom Gameboy schufen eine groteske Atmosphäre, während der Autor in leicht gebrochenem Deutsch seine theatralischen Geschichten vom alltäglichen Scheitern las.

Im vierzehntägigen Rhythmus vergnügt man sich beim „Leseabend“ auf immer neuen literarischen Irrfahrten vom Bizarren ins Intellektuelle und zurück. Allein die Anarchie bestimmt den Kurs. Und auch der letzte „Leseabend“ in diesem Jahr scheint dem in nichts nachzustehen: Auf dem Programm stehen „epochemachende“ Texte und Lyrik über Japan, gelesen von Mitorganisator Karl Kilian, angerichtet mit Dias und Begleitmusik. Im Anschluss soll es ein „Eierwerfen auf das Böse“ geben. Damit wäre im Fall eines miserablen Vortrags auch gleichzeitig für den nötigen Aggressionsabbau gesorgt. PAMELA JAHN

Heute, 20 Uhr 30, Rosenthaler Str. 39 (2. HH,1. Stock), Mitte