zoologie der sportlerarten
: PROF. HIRSCH-WURZ über den Wrestler

Maulheld und Mumie

Was ist riesengroß, steht nutzlos in der Gegend herum, glotzt blödsinnig aus der Wäsche und wartet, dass jemand kommt und es niedermacht? – a) ein Dinosaurier mit einem Gehirn von der Größe einer Erbse; b) ein baufälliger Kirchturm; c) ein träumender Elefant; d) Gulliver im Zwergenland. Alles falsch: Natürlich handelt es sich um einen Wrestler.

Der Homo greificus bombasticus ist der wilde Bruder des gemeinen Homo greificus, welcher seinem Treiben auf eher bodenständige Weise vorzugsweise bei Olympischen Spielen nachgeht, in aller Regel einen aparten Strampelbody trägt und sich vor allem fortgesetzter Passivität und Mattenflucht schuldig macht. Im Gegensatz zu diesem Artgenossen ist der Wrestler geradezu hyperaktiv – wenn auch in erster Linie vor dem Kampf und mit dem bisweilen überdimensional groß geratenen Maul. Wer nicht mindestens die rhetorischen Fähigkeiten eines mit Harald Schmidt gekreuzten Dieter Thomas Heck besitzt, kann sich gleich einen anderen Job suchen, es sei denn, er verkleidet sich als Indianerhäuptling mit Lizenz zum Schweigen.

Auch im Ring findet der Homo greificus bombasticus zunächst keine Ruhe, sondern stürmt, haut und rempelt auf sein Gegenüber ein wie ein gereizter Bruce Willis auf das personifizierte Böse. Die gewaltbereite Hyperventilation ist jedoch von kurzer Dauer, denn bald hängen beide nur noch schlapp in den Seilen und warten ergeben auf die Hiebe, die da kommen sollen (siehe Beginn dieser wissenschaftlichen Arbeit) oder pumpen maikäfergleich in Rückenlage auf der Matte vor sich hin. Nach gefühlten zehn Minuten rappelt sich endlich einer auf, um dem anderen den Rest zu geben. Zu diesem Behufe erklimmt er umständlich den Ringpfosten, um dann mit einem lauten Platsch direkt neben seinem Kontrahenten zu landen, der just in diesem Augenblick die Kraft gefunden hat, ein paar Zentimeter zur Seite zu kullern. Der fürchterliche Aufprall von mindestens zwei Zentnern Wrestlermasse auf dem Ringboden lässt nun den Angreifer ins unverzügliche Koma fallen, während sich sein Gegner auf die lange Reise zum Gipfel des Ringpfostens begibt – und so weiter und so fort ...

Irgendwann haben beide das nutzlose Niederplatschen satt und fangen lieber an, sich umstandslos aufs Maul zu hauen, den Arm umzudrehen, am Bein zu zerren oder umzuschubsen wie eine Horde wilder Gören, die in eine Rauferei geraten sind. Das können sie natürlich nicht zugeben, also verleihen sie ihrem Tun blumige Namen wie Bodyslam, Lionsault, German Suplex, Stunner, Lion Tamer, Boston Crab, Face Buster, People‘s Elbow oder auch Rock Bottom. Vergleichsweise prosaisch klingt dagegen das kampfbeendende „Cover“, das aber frühestens im 27. Versuch gelingt, weil sich die verdammten Kerle häufiger aufrappeln als ein Heldentenor nach tödlichem Degenstoß. Ist es endlich vollbracht, bekommt der Sieger einen Weltmeistertitel, von denen es im Wrestling mehr gibt als beim Schwergewichtboxen, also ungefähr 125. Außerdem darf er im nächsten Hollywoodschinken über Mumien und ihre Nachfahren einen Skorpion spielen oder einen Totengräber im nächsten Django-Remake.

Das Beste am Dasein eines Homo greificus bombasticus ist, dass er sich niemals zur Ruhe setzen muss. Hulk Hogan gehört noch im hohen Alter von gefühlten 83 Jahren zu den Protagonisten des Gewerbes, Ric Flair wird noch mit hundert irgendeinen Weltmeistertitel ergattern und zur Belohnung eine Mumie in einem Hollywoodschinken über Skorpione spielen dürfen. Leute wie The Rock, Hitman Hart oder Undertaker sind ohnehin komplett alterslos, worin sie Robert Redford, Woody Allen, Sean Connery oder Richard Gere ähneln, die schließlich auch am Ende jedes Filmes die junge, schöne Heldin in ihre Gruft schleppen dürfen.

Für die weiblichen Varianten des Homo greificus bombasticus gilt das alles natürlich nicht: Oma Chyna, Grandma Molly Holly oder Good Old Sunny – absolut undenkbar. Auch beim Wrestling handelt es sich schließlich um eine Männerwelt. Sonst könnte man ja fast auf die Idee kommen, es gehe dort nicht ganz mit rechten Dingen zu.

Wissenschaftliche Mitarbeit:

MATTI LIESKE

Fotohinweis:Holger Hirsch-Wurz, 26, ist ordentlicher Professor für Humanzoologie am Institut für Bewegungsexzentrik in Göttingen