Dämpfen und stimulieren

Auf dem Weg nach Olympia müssen die Schachsportler bei der Weltmeisterschaft in Moskau erstmals Dopingkontrollen über sich ergehen lassen. Fest steht schon jetzt: Wodka schadet dem Spiel

von HARTMUT METZ

Kirsan Iljumschinow gab bei der WM-Eröffnungsfeier in Moskau eine ziemlich einfache Losung aus. „Wodka ist kein Doping für einen Schachspieler“, stellte der Präsidenten des Schach-Weltverbands (FIDE) fest und fortan kreiste sein Toast als geflügeltes Wort so häufig durch den Saal wie die randvoll gefüllten Gläser. Die russische Seele freundete sich lieber mit dem neuen Trinkspruch an als mit den Dopingproben, die bei der Schach-Weltmeisterschaft erstmals durchgeführt werden, was einen einfachen Grund hat: Das königliche Spiel will unbedingt olympisch werden.

Zarte Bande mit dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC) knüpfte Iljumschinow bereits 1998, als das WM-Finale zwischen Titelverteidiger Anatoli Karpow (Russland) und dem Inder Viswanathan Anand im Olympischen Museum in Lausanne ausgetragen wurde. Juan Antonio Samaranch, damals noch IOC-Boss, zeigte sich begeistert – und erhob den Denksport in Sydney sogleich zum Demonstrationswettbewerb; Anand und Alexej Schirow (Spanien), die sich kaum ein Vierteljahr später auch im WM-Finale gegenübersaßen, trennten sich 1:1. Nach dem Abschied von Samaranch glitt die Diskussion zwar dahingehend ab, dass Schach wegen der überbordenden Sommer-Wettbewerbe in die Winterspiele integriert werden sollte – erstrebenswert bleibt das Ziel für die Fide dennoch. Und wer bei Olympia dabei sein will, muss sich eben den Doping-Richtlinien des IOC unterwerfen, so unsinnig sie auch für das Schach sein mögen.

Vor der heutigen letzten Partie liegen im WM-Halbfinale Titelverteidiger Anand (Indien) und Wassili Iwantschuk nach drei Remis gleichauf, während der 18-jährige Geheimtipp Ruslan Ponomariow (beide Ukraine) gegen Peter Swidler (Russland) 2:1 führt. So steht es auch im Endspiel der Frauen zwischen der Chinesin Zhu Chen (China) und der 17-jährigen Russin Alexandra Kostenjuk. Dass in Moskau einer der Protagonisten des Dopings überführt wird, hält Großmeister Helmut Pfleger für ausgeschlossen.

Der 58-jährige Münchner Mediziner wies nach, dass im Schach „sowohl dämpfende als auch stimulierende Substanzen unliebsame Nebenwirkungen haben“. Pfleger erinnert sich an einen Selbstversuch, um die eigenen Emotionen zu zügeln: „1979 nahm ich bei einem Turnier in München vor meiner Partie mit Exweltmeister Boris Spasski einen Beta-Blocker. Das hatte katastrophale Folgen: Pulsfrequenz und Blutdruck sanken in den Keller. Mit großem Gleichmut spielte ich einen ziemlichen Käse und verlor sang- und klanglos.“ Bei Stimulanzien sieht der Großmeister wiederum die Gefahr, dass „bei langen Partien gerade in der Abklingphase besondere Wachheit erforderlich wäre, dann aber die deprimierende Wirkung des Amphetamins einsetzt“.

Der bei vielen Schachspielern beliebte Kaffee sorge hingegen nur in Ausnahmefällen für überhöhte Koffeinwerte, berichtet der TV-Kommentator von Schach- wie naturwissenschaftlichen Sendungen. „Bei Stoffwechselstörungen können schon zwei Tassen Kaffee für eine positive Probe genügen, generell gilt aber: Der Koffeinwert, ab dem Doping vorliegt, wurde so hoch gewählt, dass er bei normalen Lebensgewohnheiten nicht erreicht wird. Bei größeren Mengen von Kaffee überwiegen zudem die negativen Kreislaufwirkungen, außerdem setzen Störungen des klaren Denkens ein.“

Letzteres gilt auch bei Wodka, wie eine kleine Anekdote erzählt: Ein reicher Schnösel lud einst Emanuel Lasker und Géza Maroczy zu einem Dinner ein. Als Aperitif ließ er ein Schachspiel kredenzen, bei dem die Figuren durch kleine und große Flaschen mit hochprozentigen Alkoholika ersetzt waren. Jede geschlagene Flasche sollte vor dem nächsten Zug geleert werden. Um die Unlust der beiden Koryphäen zu überwinden, setzte der Millionär 1.000 Dollar für den Sieger aus. Lasker bekam die weißen Steine zugelost und wurde seinem Ruf als gewitzter Psychologe gerecht: Nach den Bauernzügen e4 und e5 von Schwarz brachte der Weltmeister seine Dame ungewöhnlich früh im zweiten Zug nach h5 in Stellung. Unbedarft zog Maroczy seinen Springer nach c6, wonach Laskers Dame kurzerhand auf f7 mit einem Schachgebot einschlug. Während Lasker den kleinen Likör rasch gekippt hatte, musste der Ungar die Kognakflasche schlucken. Laskers riskantes Damenopfer zahlte sich alsbald aus, womit bewiesen war: Wodka ist in der Tat kein Doping für Schachspieler.