Der verhinderte Märtyrer

Drei Monate nach dem 11. September erheben die USA eine erste Anklage – gegen den Franzosen Zacarias Moussaoui

Als er am 16. August 2001 in Minnesota wegen Verstoßes gegen das US-Einwanderungsgesetz verhaftet wurde, da hatte Zacarias Moussaoui die Gebrauchsanweisung für das satellitengestützte Ortungssystem GPS bei sich. Sechs Tage später kaufte Ziad Samir Jarrah, Pilot der in Pennsylvania abgestürzten Maschine, entsprechendes Equipment in Miami; es wird vermutet, dass die Entführer die Geräte für ihre Anschläge am 11. September benötigten. Es ist nicht das einzige Indiz einer Anklage, die dem 33-jährigen Franzosen marokkanischer Abstammung nun „Verschwörung zu grenzüberschreitendem Terrorismus“, zu „Luftpiraterie“, zur „Zerstörung eines Flugzeugs“, zur „Verwendung von Massenvernichtungswaffen“, zum „Mord an Mitarbeitern der US-Regierung“ und zur „Zerstörung von Eigentum der US-Regierung“ zur Last legt. Sechs Vorwürfe, von denen vier mit dem Tode bestraft werden können. Moussaoui sei ein „aktiver Teilnehmer“ der Anschläge gewesen, sagte der US-Justizminister John Ashcroft. Die Anklage lautet denn auch auf „Verschwörung mit Ussama Bin Laden und al-Qaida zur Ermordung tausender unschuldiger Menschen in New York, Virginia und Pennsylvania am 11. September“.

Zacarias Moussaoui wurde in Saint-Jean-de-Luz im französischen Baskenland geboren, seine Mutter ist Angestellte bei der französischen Télécom in Narbonne. 1988 machte er sein Fachabitur, zwei Jahre später ein technisches Diplom und schrieb sich 1990 in der Universität von Montpellier ein. Im Herbst 1991 ließ sich Moussaoui in London nieder – und brach mit Freunden und seiner Verlobten.

In die USA war er mit einem Studentenvisum eingereist und besuchte die Universität von Norman, Oklahoma. Dort kleidete er sich „normal“, wie es heißt, spielte gerne Computerspiele und besuchte den Kraftraum auf dem Campus. Flugunterricht hatte er genommen, sich aber nicht für Start oder Landung interessiert – wie die Luftpiraten. In einem afghanischen Al-Qaida-Lager sei er ausgebildet worden – wie die Luftpiraten. Große Geldsummen habe er erhalten – aus Deutschland und dem Nahen Osten, wie die anderen Luftpiraten. Und seinen Microsoft-Flugsimulator kaufte sich Moussaoui im selben Laden wie sechs Monate zuvor schon der Attentäter Mohammed Atta.

Am 1. September informierte der französische Geheimdienst DST die amerikanischen Behörden, dass Moussaoui ein „radikaler islamischer Extremist“ mit Verbindungen zu Ussama Bin Laden sei. Seinen Computer hätte das FBI schon unmittelbar nach der Verhaftung untersuchen sollen, was aber das Justizministerium mangels Beweisen untersagte. Bis zum 11. September, als die Ermittler auf der Festplatte auch prompt Informationen über die Verteilung von Chemikalien und Schädlingsbekämpfung aus der Luft entdeckten.

In einem Brief an seine in Frankreich lebende Mutter hatte Moussaoui seine Unschuld beteuert und den US-Behörden vorgeworfen, Beweise gegen ihn zu fälschen. „Ich bin geschockt“, sagte Aicha Moussaoui, glaubt aber weiter an die Unschuld ihres Sohnes. Ein erdrückendes Indiz aber ist sein beharrliches Schweigen – nach wie vor den Anschlägen vom 11. September. Das französische Außenministerium teilte indes mit, dass Moussaoui den angebotenen konsularischen Schutz Frankreichs ablehne. ARNO FRANK