In Serbien droht eine Staatskrise

Der Streit zwischen dem jugoslawischen Präsidenten Koštunica und Serbiens Premier Djindjić eskaliert. Jetzt fordert Koštunica Neuwahlen

BELGRAD taz ■ Die Animosität zwischen dem konservativen, national gesinnten jugoslawischen Bundespräsidenten, Vojislav Koštunica und dem energischen, kompromisslosen Reformer und Premier Serbiens, Zoran Djindjić, ist zu einem offenen Machtkampf eskaliert. Dem wirtschaftlich und sozial ruinierten, von internationaler finanzieller Unterstützung abhängigen Land droht eine Staatskrise. Unter der Federführung Koštunicas forderte seine Demokratische Partei Serbiens (DSS) am Dienstag „dringend“ vorgezogene Parlamentswahlen in Serbien. Dies sei die einzige Möglichkeit, die „Parlamentskrise zu überwinden“, verkündete die DSS und beschuldigte Djindjić, das Koalitionsabkommen des Regierungsbündnisses DOS gebrochen und die Macht „willkürlich“ an sich gerissen zu haben.

Die seit Monaten schwelende Krise geriet zu einem Skandal im serbischen Parlament: Die DSS beschuldigte Djindjić’ Demokratische Partei (DS), die Abstimmung über ein Gesetz gefälscht zu haben. Darauf löste die DS mit knapper Mehrheit den von der DSS nominierten Parlamentspräsidenten ab.

Sowohl die DS als auch die DSS führen zurzeit intensive Verhandlungen mit den anderen 16, meist untereinander zerstrittenen kleineren Parteien, der in Serbien regierenden DOS, um eine knappe Mehrheit im Parlament zu sichern. Peinlich für Koštunica ist, dass er mit der ehemaligen Gefolgschaft von Slobodan Milošević im Kampf gegen Djindjić gemeinsame Sache machen muss. Ein Schönheitsfehler für den von der EU protegierten Djindjić ist, dass er sich im Parlament der Rückendeckung der Partei der serbischen Einheit (SSJ) versichern musste, die der Freischärlerkommandant Zeljko Raznatović Arkan vor seinem gewaltsamen Tod gegründet hatte. Die SSJ soll eng verbunden mit dem organisierten Verbrechen in Serbien sein.

Die acht Abgeordneten der Partei Neues Serbien sind das Zünglein an der Waage im serbischen Parlament. Der unberechenbare Parteivorsitzende und Bürgermeister der Provinzstadt Cacak, Velimir Ilić, galt bisher als einer der schärfsten Kriker der Regierung Djindjić. Ilić wurde berühmt, als er während des Volksaufstandes am 5. Oktober 2000 im Trainingsanzug auf einem Bagger nach Belgrad kam, um dort gegen Milošević zu kämpfen.

Nun heißt es, Djindjić habe ihn „mit einem Ministeramt gekauft“, die serbische Regierung den Bau einer umstrittenen Tabakfabrik in Čačak genehmigt. Ilić selbst nörgelte bis vor kurzem, Abgeordnete im serbischen Parlament seien „allesamt käuflich“, der politische Kampf würde sich darauf beschränken, „wer wem mehr zahlen kann“.

Der undurchsichtige Machtkampf schreckt indessen ausländische Investoren ab und bremst die politischen und wirtschaftlichen Reformen. In Serbien gelten größtenteils immer noch die umstrittenen Gesetze und die Verfassung aus der Ära Milošević. Wahrscheinlich wird sich Djindjić vorerst an der Macht halten, doch lange wird er die vorgezogenen Wahlen nicht hinauszögern können.

ANDREJ IVANJI