Kein Weltuntergang für Firmen

Minderheit von Ökonomen hält Lohnforderung der Gewerkschaft für vernünftig

BERLIN taz ■ Großes Geschrei hat die Forderung der Gewerkschaft Metall nach „fünf bis sieben Prozent Lohnerhöhung“ für 2002 ausgelöst. Vom Bund der deutschen Industrie über die Arbeitgeberverbände bis zur Deutschen Bank ist man sich einig: Angesichts der Rezession sei so ein kräftiger Schluck aus der Pulle Gift für die Konjunktur.

Eine Minderheit von Ökonomen freilich kann an dieser Forderung wenig Furchtbares entdecken. Zu ihnen gehört Alfred Boss vom Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW). „Ein bisschen viel, aber kein Weltuntergang“, urteilt Boss über die Ansage der IG Metall. Das IfW erwartet für kommendes Jahr Lohnerhöhungen von durchschnittlich 2,5 Prozent. Die Prognose für die Lohnsteigerung geht davon aus, dass die Metaller wie üblich etwas mehr herausschlagen, also knapp drei Prozent. Gehaltszuwächse in dieser Höhe hätten laut IfW auch Sinn. Denn die Preise werden in 2002 um etwa 1,2 Prozent steigen. Weil die Beschäftigten mehr für Konsumartikel ausgeben müssen, ist es gerechtfertigt, dass sich ihr Lohn ungefähr im Gleichschritt mit der Preissteigerung erhöht. Sonst würde die Kaufkraft abnehmen.

Das IfW geht außerdem davon aus, dass die stündliche Arbeitsleistung der Beschäftigten 2002 im Durchschnitt um rund zwei Prozent zunimmt. Auf dieser Basis kann auch der Lohn um zwei Prozent steigen, denn die Arbeitnehmer werden mehr erwirtschaften. Addiert man nun Inflationsausgleich und Produktivitätszuwachs, ergibt sich eine mögliche Lohnsteigerung von etwa drei Prozent – eine Größenordnung, auf die sich IG Metall und Unternehmerverband gut einigen könnten. Wenn die Gewerkschaft anfangs sechs Prozent verlangt, bekommt sie erfahrungsgemäß einen Tarifabschluss in halber Höhe.

IfW-Ökonom Boss gibt allerdings zu bedenken, dass die Unternehmen dann kein zusätzliches Geld für neue Arbeitsplätze ausgeben. Dafür würden die Gewinne zu gering ausfallen. Neue Stellen könnten nur entstehen, wenn die Gewerkschaft mit ihrer Forderung heruntergehe.

Mehr Unterstützung bekam IG-Metall-Chef Klaus Zwickel gestern vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Die Berliner Ökonomen haben Frankreich und Deutschland verglichen. Ihr Ergebnis: Im Nachbarland hat sich der Lohnzuwachs in den 90er-Jahren tatsächlich an der Summe aus Inflationsrate und Produktivitätssteigerung orientiert. Die Beschäftigten und Konsumenten hatten ausreichend Geld in der Tasche und hielten die Wirtschaft in Schwung. In Frankreich betrug das Wachstum zwischen 1997 und 2001 insgesamt 12,6 Prozent, in Deutschland bloß 7,7.

Entgegen solcher Überlegungen fordert die Mehrheit der deutschen Ökonomen eine „beschäftigungsorientierte“ Lohnpolitik. „Alles, was den Produktivitätszuwachs übersteigt, ist schlecht“, sagt etwa Jörg Beyfuss vom Institut der Wirtschaft. Die Inflationsrate müsse ausgeblendet werden. HANNES KOCH