Betrug an der Haustür

Mit Drückermethoden wurden zehntausende Kunden beim Immobilienkauf geködert. Heute entscheidet der Europäische Gerichtshof über den Fall. Den Banken drohen Milliardenzahlungen

von MALTE KREUTZFELDT

Wer sich an der Haustür einen Staubsauger aufschwatzen lässt, der muss darüber aufgeklärt werden, dass er diesen Kauf rückgängig machen kann. Andernfalls ist der Vertrag ungültig und kann ohne Befristung aufgelöst werden – so steht es im „Haustürwiderrufsgesetz“. Wer jedoch von einem Vertreter gleich eine Eigentumswohnung mit dem dazugehörigen Kredit erwirbt, für den gilt das bisher nicht. Denn hier greift nach deutscher Rechtsprechung das „Verbraucherkreditgesetz“, das das Rücktrittsrecht auf ein Jahr befristet und Kredite für Wohneigentum ganz davon ausnimmt.

Gegen diese Praxis hat eine betrogene Wohnungskäuferin vor dem Europäischen Gerichtshof geklagt, denn der Verbraucherschutz ist durch europäische Richtlinien geregelt. Nicht nur der EU-Verbraucheranwalt stützt die Position der Klägerin, auch Generalanwalt Philippe Leger hat im Plädoyer erklärt, dass es bei Haustürgeschäften keine Ausnahmen und Befristungen für Widerrufe geben dürfe. Das Urteil wird für heute erwartet. Wenn das Gericht entscheidet, dass Immobiliengeschäfte an der Haustür rückgängig gemacht werden können, dann könnte auf mehrere deutsche Banken eine Schadensersatzwelle in Milliardenhöhe zurollen.

Denn in den vergangenen 15 Jahren sind nach Angaben des Bundesverbands der Verbraucherzentralen bis zu 300.000 Klein- und Mittelverdiener mit überteuerten Wohnungen betrogen und vielfach in den finanziellen Ruin getrieben worden. Drückerkolonnen so genannter Strukturvertriebe hatten ihnen die Immobilien mit dem Argument angedreht, durch Mieteinnahmen und Steuerersparnisse würden sich die Finanzierungskosten von selbst tragen, so dass es sich um eine „bankgeprüfte“, sichere Altersvorsorge handele. Weil die Drücker großen Zeitdruck vortäuschten, unterschrieben viele Anleger noch am selben Abend bei einem bereitstehenden Notar einen Vertrag, mit dem sie gleichzeitig einen hohen Kredit aufnahmen und mit ihrem persönlichen Vermögen und ihren Lebensversicherungen hafteten. Der Großteil der Geschäfte wurde von der damaligen Bayerischen Hypotheken- und Wechselbank (Hypobank) finanziert, aber auch die Commerzbank, die Deutsche Bank und einige Regionalbanken nutzten die Dienste der Drückerkolonnen.

Als sich später herausstellte, dass die Wohnungen mindestens zum Doppelten ihres tatsächlichen Werts verkauft und die Anleger absichtlich über hohe Provisionen und wertlose Mietgarantien betrogen worden waren, zogen viele Käufer vor Gericht. Allein der Göttinger Anwalt Reiner Fuellmich kämpft für 3.000 Mandanten gegen die HypoVereinsbank. Zunächst blieben die Banken unbehelligt: Die Gerichte glaubten ihrer Version, dass sie nur die Kredite gewährt und mit dem betrügerischen Vorgehen der Vertreiber nichts zu tun gehabt hätten. Doch inzwischen sind Dokumente aufgetaucht, die die enge Kooperation zwischen Banken und Drückern belegen – so zahlte die Hypobank nicht nur Provisionen, sondern bot auch Schulungen für die Verkäufer an und gab ihnen schriftliche Ratschläge, wie das Haustürwiderrufsgesetz am besten zu umgehen sei. In mittlerweile über 50 Fällen sind die Banken daher verurteilt worden, das Geschäft rückgängig zu machen und den Schaden zu ersetzen. Wenn das durch die EuGH-Entscheidung für alle Betroffenen gelten würde, rechnen die Verbraucherzentralen mit Forderungen im zweistelligen Milliardenbereich, die auf die Banken zukommen könnten – und das in einer Zeit, in der die HypoVereinsbank ohnehin mit sinkenden Aktienkursen kämpft und ihre Kreditwürdigkeit vom Investor-Service Moody’s jüngst von „stabil“ auf „negativ“ heruntergestuft wurde.

Ein möglicherweise noch größeres Debakel droht der Bank jetzt aus den USA. Denn weil unter den Geschädigten auch rund 100 US-Bürger sind und die HypoVereinsbank auch dort geschäftlich aktiv ist, können sich die amerikanischen Gerichte mit dem Fall befassen. Noch im Dezember oder Januar soll die Sammelklage eingereicht werden. Eine Verurteilung könnte für die Banken hohe Schadensersatzansprüche nach sich ziehen. Möglicherweise greife für den „organisierten Massenbetrug“ sogar der Rico-Act, mit dem die US-Justiz gegen mafiaähnliche Strukturen vorgehen kann. Für die Kläger bietet schon der US-Prozess viele Vorteile. Das dortige Zivilrecht erlaubt es nämlich nicht, Unterlagen zurückzuhalten. „Dort würden die Akten der Bank Lkw-weise beschlagnahmt“, ist sich Fuellmich sicher.

Die Banken wissen, was ihnen droht, wenn die Unterlagen öffentlich werden. Zwar erklärt Hypo-Pressesprecher Thomas Pfaff, die Prozesse stellten für die Bank kein Problem dar. Doch in einem internen Memo, das der taz vorliegt, zitiert die HypoVereinsbank ihren eigenen Revisionsbericht. Darin heißt es über ein von Drückern vertriebenes Objekt, dass durch „überhöht angegebene Mietgarantien“ mit einer „erhöhten Anzahl notleidend werdender“ Anleger zu rechnen sei. Neben dem finanziellen Schaden drohe der Bank vor allem ein PR-Desaster, so das Memo: „Ein Imageverlust unseres Hauses ist zu erwarten, sofern obige Tatsachen in den Medien veröffentlicht werden.“