Gottfried in Unterhosen

■ Literarisches Terzett stritt sich in Worpswede über Wert und Unwert der Briefe Gottfried Benns an seine Geliebte Ursula

„Mögen Sie Eis?“ – Eigentlich hatte die junge Frau aus Worpswede Gottfried Benn telefonisch zu einer Lesung einladen wollen. Doch der wollte sich das Gesuch persönlich vortragen lassen. Auf Ursula Ziebarths Frage hin, wozu denn der Aufwand betrieben werden müsse, erwiderte der Schriftsteller 1952 nur abgebrüht: „Ach, man würfelt so und hofft stets auf einen Sechser.“ Sie kam zu ihm nach Berlin, wenige Tage nach dem Treffen wurde sie seine „Allerliebste“.

Insgesamt 252 Briefe, die der Expressionist für sie schrieb, wurden jetzt vom Wallstein-Verlag veröffentlicht. Zu diesem Anlass kam am Dienstag Abend die Literaturkritikerin Sigrid Löffler in die Worpsweder Kunsthalle.

Das Besondere des Buches: Die mittlerweile 80-jährige Ursula Ziebarth hat seine Briefe für die Publikation mit ihren Kommentaren versehen. Wo es in der Liebe brenzlig wurde, wo der 68-jährige Benn der jungen Frau Vorwürfe machte, da retuschiert sie nachträglich: „So Törichtes gab ich bestimmt nicht von mir ...“ Benn ging nicht gerade behutsam mit seiner Geliebten um. Zwar zeugen liebevolle Kosenamen wie „Rabaukiges Ponny“, „Mein kleines Menschlein“ oder „Mungochen“ von reichlich Kapazität an Herzenswärme des sonst so kühlen und eigenwilligen Einzelgängers. Dennoch versuchte er immer wieder, Ziebarth zu seiner „Stipvisitenfrau“ zu erziehen. Sie wehrte sich fortwährend, aber erfolglos.

Sigrid Löffler sah in den „Nachschriften“ der Geliebten einen schwachen Versuch, Gefühle nach 50 Jahren zu rekapitulieren und zu korrigieren. Außerdem versuche sie, das letzte Wort zu haben. Aber: „Man lernt den Dichter mit runtergelassenen Hosen kennen“. Ein Gottfried Benn, der sich um die Zimmertemperatur der Geliebten sorgte: „Urselchen, heizt Du auch Dein Zimmer? Und trägst Du warme Schlüpfer?“. Oder der mit detailbesessener „Rendezvous-Logistik“ die seltenen Treffen der beiden vorbereitete.

„Gibt es eine Buchempfehlung der -ablehnung?“ fragt Harro Zimmermann in der Pose des literarischen Quartetts. Sigrid Löffler ist sich da nicht so sicher. Durch allzu schreckliche Banalitäten müsse man waten, doch gäbe es auch Aufschluss über die Dickfälligkeit Benns und maßlose Verdrängung der eigenen Schuld – beispielsweise in seiner Beziehung zu den Nationalsozialisten.

Der Oldenburger Literaturwissenschaftler Prof. Joachim Dyck empfahl ganz nüchtern: „Besser, man liest die Briefe ohne Frau Ziebarths Kommentare.“

„Wieso sollte ich, die ich über dies und das und jenes schreibe, ausgerechnet zu den Briefen Benns an mich nichts schreiben?“ kontert die Ziebarth gegen solche literaturwissenschaftliche Spitzfindigkeiten schon im Vorwort des Buches.

Roland Rödermund

„Hernach. Gottfried Benns Briefe an Ursula Ziebarth“, Wallstein-Verlag. Eine Aufzeichnung der Diskussion wird am 13.1.2002 um 19.05 Uhr im NordwestRadio zu hören sein.