Knallerbsen und Ideologie

Eine neue Mehrheit und neue Prominenz ist ins Berliner Abgeordnetenhaus eingezogen. Aber dort werden trotzdem weiter die Schlachten von gestern geschlagen. Immerhin: Um die Olympischen Spiele ging es wohl zum letzten Mal

Eine Premiere war es, obwohl das Abgeordnetenhaus schon zum zweiten Mal in dieser Zusammensetzung zusammentrat. Bei der konstituierenden Sitzung durften sich die Grünen und die FDP noch als Regierungsfraktionen in spe fühlen, jetzt gehören sie zur Opposition und schauen auf den großen rot-roten Block. Ganz links darin sitzt einer, der nun doch bleiben wird: Gregor Gysi nimmt sein Mandat im Abgeordnetenhaus an und wird Senator. Gestern kam er erst verspätet ins Parlament, das er dem Vernehmen nach für mindestens eine Nummer zu klein für einen Politiker seines Kalibers hält. Geredet hat er nicht. Gegenüber von Gysi kippelt Günter Rexrodt, neuer Fraktionsvorsitzender der Liberalen. Ob er bleiben wird, als heimlicher Oppositionsführer neben dem gestern überfordert wirkenden Frank Steffel? Ungewiss ob der rot-roten Aussichten.

Neue Lage im Lande, neue Leute im Parlament, eine neuer Senat wird gerade gebildet – und was tut das neue Abgeordnetenhaus? Debattiert die alten Hüte! Allein die Grünen versuchten, die Zukunft in Gestalt der Haushaltssanierung bis 2009 auf die Tagesordnung zu setzten. Damit standen sie aber allein da. Und so ging alles seinen gewohnten Berliner Gang: Der CDU-Abgeordnete Roland Gewalt verortete das wichtigste Problem der Metropole präzise in der Kleinen Alexanderstraße: „Werfen Sie (die PDS) endlich die autonome Stadtguerilla aus ihrer Parteizentrale hinaus!“ Innensenator Ehrhart Körting (SPD) beantwortete „aus alter Freundschaft“ CDU-Anfragen zur Rettung der Reiterstaffel der Polizei. Ein unversöhnlicher CDU-Redner erinnerte an 1993, als alternative Politiker, die längst niemand mehr kennt, mit „Knallerbsen und Ideologie“ gegen das IOC gekämpft hätten.

Womit man bei Olympia war. Jetzt wurde es richtig traurig. Klaus Böger, Sportsenator der SPD, musste erklären, warum er persönlich für eine Bewerbung war, seine Partei aber schließlich dagegen. Der Taschenrechner, der Anstand gegenüber den Mitbewerbern, die für 2000 verzichtet hatten, das Gefühl für die Stimmung in der Stadt – an Argumenten gegen eine Olympiabewerbung Berlins hat es nie gefehlt. Der finale Verzicht war jedoch kein Tribut an die Vernunft, sondern eine Morgengabe an den neuen Koalitionspartner PDS. Diese Feder dürfen sich die Sozialisten an den Hut stecken, und ihr 28-jähriger Parteichef Stefan Liebich ist klug genug, nicht in Siegesgebrüll auszubrechen. Er stellt vielmehr fest, man habe sowohl Olympia, als auch eine neue No-Olympia-Bewegung verhindert.

Gab es weitere Lichtblicke an diesem tristen Nachmittag? Die grünen Senatoren vielleicht. Mögen sie in ihrem halben Amtsjährchen nicht viel bewegt haben, niemand beantwortet parlamentarische Anfragen so zurückgenommen ironisch wie Wolfgang Wieland (Justiz). Der Urgrüne, der Berlin als Abgeordneter erhalten bleibt, wurde nur übertroffen von seiner Kulturkollegin Adrienne Goehler. Ihre zart-dominanten Belehrungen von der Senatsbank hatten sich die als Schuljungen gebärdenden CDU-Hinterbänkler auch gestern wieder redlich verdient.

ROBIN ALEXANDER