zwischen den rillen
: Säkulares Kiffen: Afroman, Stefan Raab, Cypress Hill

Der Joint macht die Musik

Aufbröseln, eintüten, abfahren. Freundinnen und Freunde sedierender Rauchwaren loben den Genuss von Haschisch oder Gras über den grünen Klee, wenn er mit dem Genuss von Musik einhergeht. Zu Recht, dockt Tetrahydrocannabinol (THC) doch an die Rezeptoren bestimmter Nervenzellen im Hirn an, wo es den Austausch von Botenstoffen stimuliert – „Insane In The Membrane“. Gedanken, Gefühle und Gelüste, die zuvor nur spärlich tröpfelten, schießen nun dammbruchartig in die Birne.

Dieser erfreuliche „Leck mich“-Effekt ist lange bekannt. Doch heute überschwemmen Platten den Markt, die das Kiffen zum Anlass und Inhalt haben. Die Altmeister von Cypress Hill („I Want To Get High“) rauchen einfach weiter, der Newcomer Afroman macht seine Plattenfirma mit „Because I Get High“ glücklich, und auch der Clown Stefan Raab bekennt über einem wippenden Offbeat: „Wir kiffen!“ Doch was wirkt wie eine neue Welle von Kiffermusik, ist eigentlich nur deren Schaumkrone. Domestiziert und säkularisiert ist die Droge zu einer jener schicken Behauptungen verkommen, ohne die Pop nicht auskommt. Schließlich muss ein Tabu inzwischen erst behauptet werden, bevor man’s marktgerecht brechen kann.

Mit Musik, guter gar, muss das alles nichts zu tun haben. Ein kurzer Gedanke, von Stefan Raab auf einen zehnminütigen Punkt gebracht: „Wir kiffen!“ operiert mit allen denkbaren Klischees. Und zu schunkelndem Reggae, endlosen Gitarrensoli, sinnlosem Gebrabbel und ermüdenden Wiederholungen lässt der Metzgersohn öffentliche Personen paradieren, die „es“ angeblich tun. Da ziehen „auch im Bundestag“ alle mal an „Rezzos Schlauch“, Rudi Völler lässt „auf Reisen“ gerne mal „’ne Tüte kreisen“ et cetera, den Klowand-Fantasien sind hier keine Grenzen gesetzt – Stefan Raab treibt ad absurdum, worauf andere noch ganz ernsthaft eine Karriere bauen.

Afromans Bekenntnisse, „Mary Jane“ hätte sich in dunklen Tagen als beste Freundin erwiesen, erscheinen vor diesem Hintergrund als genau die berechnenden Phrasen, die sie sind. Die lahm dahineiernden Rhythmen des Amerikaners lassen vermuten, dass sich hier der Kreis endgültig schließt: Wir lauschen, bestenfalls bekifft, einem Kiffer, der übers Kiffen singt, hören also entspannt einem professionellen Entspanner beim Entspannen zu – sehr bald werden Hörer zumindest der ermüdenden Wirkung der besungenen Substanzen teilhaftig. Was aber laut Plattenfirma „Wohlfühl-Album des Jahres“ sein soll, darf die schweigende Mehrheit der Süchtigen nicht ausgrenzen: „Let’s All Get Drunk“ heißt die nächste Single, „now let’s all get back to work“ sollten ehrlicherweise die letzten Worte auf der Platte sein.

Strikt „stoned“ waren, sind und bleiben wohl die Rapper von Cypress Hill aus Los Angeles, die erfolgreichste monothematische Kapelle seit Peter Tosh und den Wailers. Ihre expliziten Texte sind inzwischen zu einem Reimlexikon für Begriffe wie „weed“, „bong“ oder „high“ angewachsen, vom Effekt der „bloodshot eyes“ bis zur korrekten Aufzucht der „seeds“ wird hier alles thematisiert, was Kiffer bisher nicht zu fragen wagten. Das neue Album „Stoned Raiders“ könnte indes, trotz Anleihen von Dr. Dre, heftigen Riffs und Reminiszenzen an die eigene Vergangenheit, als abschließendes Gesamtkunstwerk gehört werden: Es fühlt sich toll an, passieren tut aber eigentlich rein gar nichts.

Unsere toleranten THC-Rezeptoren in Hippocampus, Kleinhirn und Großhirnrinde haben übrigens nicht Jahrmillionen auf einen Joint oder Cypress Hill gewartet. Zuständig sind diese Proteine ursprünglich für eine körpereigene Substanz namens Anandamid, was aus dem Sanskrit abgeleitet ist und so viel wie „Glückseligkeit“ bedeutet; bewirkt dasselbe, ist aber schwerer auszuschütten als echter Schwarzer Afghane aufzutreiben.

Wer’s dennoch ernsthaft mal mit den Anandamiden versuchen will, dem sei wahrhaft berauschende, wesenhaft durchgeknallte Musik empfohlen. Wagners viertelstündiges Vorspiel zu „Lohengrin“ beispielsweise. Geht gut rein, macht buchstäblich „high“ und ist irgendwie auch verboten.

ARNO FRANK

Cypress Hill: „Stoned Raiders“ (Sony); Afroman: „The Good Times“ (Universal)