Das Straßenbild

Die Reklamerezension. Heute: Berlin, Messedamm Ecke Bredtschneiderstraße

Werbung ist eklektizistisch. Deshalb muss sie auch dauernd so erfinderisch sein. Aus alten abgehangenen Ingredienzen mixt sie sich und uns immerfort etwas appetitlich Neues. Oder sie versucht es zumindest.

Was hat der Mineralölmulti BP hier nicht alles aufgefahren, um seine „Visco“-Motorenöle an die Frau – oder doch wohl eher an den Mann zu bringen. Vor lauter Assoziationen kann man sich kaum retten. Zuallererst fällt einem natürlich Fritz Langs futuristischer Stummfilm „Metropolis“ ein. Nur dass in diesem Fall nicht Brigitte Helm in das kalte Kostüm der noch kälteren Roboterfrau geschlüpft ist, sondern eher Josephine Baker, die dunkle Südstaatenschönheit, die in den Zwanzigerjahren „oben ohne“ und nur mit einem Bananenrock bekleidet aus den Modetänzen Blackbottom und Charleston eine sportive Sensation machte.

Oder erinnert die lila schimmernde Schöne nicht sogar noch mehr an Skin, die Sängerin der gerade aufgelösten Band Skunk Anansie? Oder an die Fotos, die Jean-Paul Goude Ende der siebziger Jahre von der ebenfalls tiefschwarzen Discokönigin Grace Jones machte? Immerhin: Lauter ungebärdige und – seien wir ehrlich – ein wenig gefährliche Frauen!

Fassen wir also die ersten Ergebnisse zusammen: Hier wird im Mythenhaushalt der Moderne gewildert, des Fortschritts. Und der Fortschritt ist ganz eindeutig eine Frau, eine Raubkatze gar. Ein schwarzer Panther! Allerdings scheint die metallische BP-Dame, die uns hier so sphinxhaft fixiert, ein Problem zu haben: Ihr fehlt, worum die Anzeige so inständig bittet: life!

Ihre ganze aufscheinende Wildheit nämlich wird dadurch gebändigt, dass sie – nun ja – eine Maschine ist. An. Aus. Hier ist sie vorerst einmal aus, und wer den Mut aufbringt, es mit ihr aufzunehmen, sie anzuknipsen, muss ihr Visco Motorenöl geben.

Schluss mit der Werbung, in der Frauen miniberockt und mit dem Gesichtsausdruck wohligen Schnurrens um rotlackierte Neuwagen streichen! Hier ist die Frau selbst das Auto! Die Frau als Auto? Endlich! Ein Männertraum wird wahr. Katzen würden Whiskas kaufen, Männer sollen Visco kaufen, gell?

Schade eigentlich, dass es zu dieser Plakatwerbung keinen Werbespot gibt. Man würde doch zu gerne sehen, was passiert, wenn in diese Luxusedition des metallischen Weibes tatsächlich das motorisierte Leben fährt. Wird es der tollkühne Möchtegernfahrer wirklich schaffen, die pantherartige Ganzkörperprothese zu beherrschen? Wird sie ihn nicht vielmehr mit gezielten Hieben und Tritten zurück in die Fahrschule schicken? Zum Idiotentest?

Aber womöglich werden etwas ältere Semester unter den Passanten beim Blick auf die gelb blinkenden Gelenke der kühl ruhenden Raubkatze auch auf ganz andere Gedanken gebracht: Wollten Sie nicht noch Rheumasalbe kaufen? REINHARD KRAUSE