Amorphe Wuste und Quülze

Franz Wests bedingt körperkompatible mobiliare Kunstwerke in den Deichtorhallen  ■ Von Hajo Schiff

Nach der Auffassung von Franz West war schon die Pressekonferenz eine Kunstaktion. Denn schließlich saßen die Journalisten in der Deichtorhalle auf 42 weißen Stühlen des österreichischen Künstlers, einer Arbeit mit dem durchaus korrekten Titel Sitzen. Das zeigt auch bei der aktuellen Ausstellung von Arbeiten aus den letzten 15 Jahren einen merkwürdig in den Bereich der Dienstleistung driftenden Kunstbegriff. In der Tat wird es manche geben, die die inzwischen auf fast allen internationalen Großausstellungen vertretenen Objekte des Wiener Künstlers zuerst als provisorisch zusammengestellte Sitzgelegenheit vor Videoleinwänden empfinden und ohne jeden weiteren Gedanken zum Ausruhen nutzen.

Doch auch wenn das durchaus in der Absicht des Künstlers liegt, so ist solche Gedankenlosigkeit doch schade. Denn die hohe Wertschätzung der Kuratoren in aller Welt beruht ja darauf, das Wests Werke eine der weitgehendsten Problematisierungen der Funktion eines Kunstwerks formulieren. Seine Kunst lotet nicht nur die Möglichkeiten von Objekt und Raum aus, sondern sie nimmt auch die Beteiligung des Kunstverbrauchers ernst. Andererseits ist jemand, der aus Wien kommt, nicht so ernst, dass er nicht immer auch einen guten Schuss Ironie zuließe.

Gibt es also, folgerichtig, ironische Möbel? Schon das postmoderne Design, vor allem aus Italien, ergeht sich oft augenzwinkernd in der Kombination von Versatzstücken, doch auch in den Kunstkontext versetzt, dominiert dort der Design-Aspekt. Die von Franz West als Kunst erstellten Objekte spielen nur mit ihrem Möbel-Sein und sind, wie die mit Teppichen belegten Liegen auf der dokumenta IX, eher eine Reminiszenz an das Sofa von Siegmund Freud. Aber so verführerisch es ist, es macht keinen Sinn, den Wiener Künstler als reinen Möbelgestalter zu bezeichnen. Denn Sitzgelegenheiten sind eigentlich nur eine Fortentwicklung seiner eigenartigen „Passstücke“. Jene nicht beschreibbaren Skulpturteile zum Benutzen nennt der Künstler „geformte Neurosen“. Sie kommen erst zur Geltung, wenn die Kunstverbraucher sie ihrem eigenen Körper anpassen und sich im Umgang mit den ebenso lästigen, wie amorphen Formen beobachten. In der Deichtorhalle besteht in einer X-förmigen Kabine Gelegenheit, den Umgang mit skulpturalen Objekten zu testen. Und bewusstes Sitzen ist auch nichts anderes.

Möbel und Passstücke sind zuerst autonome Werke, deren Benutzerwert im Kunstkontext oft so virtuell erscheint, dass es schwierig ist, die Besucher zur Benutzung zu animieren. Andererseits fallen solche Arbeiten im öffentlichen Raum dem Vandalismus schnell zum Opfer, auch weil sie dort gar nicht als Kunstwerke erkannt werden. Das ist zwar schade, aber das Unwichtigwerden des Künstlers als Einzelperson ist eine Öffnung der Künstlerrolle, die Franz West ohnehin betreibt.

Auch geistige Räume lassen sich gestalten, und so überlässt Franz West in seinen Ausstellungen mehr und mehr Platz anderen Künstlern. So wird er, darin Cosima von Bonin nicht unähnlich, selbst zum Kurator: Gleich zwei Räume sind in der Deichtorhalle Arbeiten von geis-tesverwandten jungen und mindestens so anregenden Künstlern aus Wien und Paris gewidmet. Und im Zentrum der Halle präsentiert sich Franz West gar als Sammler und zeigt etliche sonst in seinem Wiener Atelier befindliche Arbeiten etwa von Martin Kippenberger oder Jason Roades.

Nun ist Franz West in Hamburg nicht unbekannt. Es gab zwar noch keine solche Zusammenschau wie jetzt in den Deichtorhallen, aber schon viele Ausstellungsbeteiligungen. Besonders interessant war 1996 eine Kombination im Kunstverein: Der damalige Direktor Schmidt-Wulffen hatte die ungestalten Skulpturen des Wieners zu den ebenfalls vorbildfreien, aber edel glatten Formkörpern von Hans Arp gesetzt. Das ermöglichte nicht nur einen intelligenten Vergleich, es hatte auch etwas Prophetisches, wirken doch die neueren in den Deichtorhallen gezeigten Sitzskulpturen, die Franz West für den Außenbereich aus Aluminium entworfen hat, in ihrer glatten galaktischen Unbestimmtheit wie aus dem surrealistischen Arsenal entwendete Arps zum Benutzen.

Franz West begründet ihre Form mit dem bedenkenswerten Hinweis auf die leider übliche, aber irrtümliche Annahme, eine nächstbeste einfache Form sei immer geometrisch. Er nennt die Teile „Wuste“ oder „Quülze“. Zur Kunstbenutzung mittels Phantasie ist da wohl nicht mehr zu sagen.

Franz West – Appartement, Deichtorhallen (südliche Halle), bis 10. März 2002, Di–So 11–18 Uhr; Führungen: Sa + So 15 Uhr; Heiligabend, 1. Weihnachtsfeiertag, Sylvester und Neujahr geschlossen, am 2. Januar 2002 ab 12 Uhr geöffnet. Eine die Ausstellung dokumentierende Publikation erscheint demnächst.