Posieren für Barbara

■ Das Oldenburger Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte zeigt 125 Künstlerporträts der FAZ-Foto-Koryphäe Barbara Klemm: Ein Sunset-Boulevard europäischer Geistesgrößen

Alfred Hitchcocks Augen leuchten. Wie vom Himmel gefallen sitzt er da, mit mächtigem Doppelkinn, in einem wackligen Klappstuhl. Die Hände hält er vor dem Bauch, als würde er eine unsichtbare magische Glaskugel beschwören. Ein kleiner dicker Zauberer im schwarzen Anzug bei der Arbeit. Im Hintergrund ein Schaffner und ein Zug. Es könnte das Filmset von „Der unsichtbare Dritte“ sein.

Direkt gegenüber der Kollege vom Theater, Peter Stein, unrasiert, zottelig, mit schwer hängenden Tränensäcken. Die Stirn ist zerfurcht, der Blick geht am Objektiv vorbei, unheilvoll, als suche Stein die Ziellinie für seinen Theater-Marathon „Faust I und II“ vergeblich in der Ferne. Stein im Jahr 2000 vor der Premiere seines Mammut-Projekts in Hannover. Ein Theater-Messias auf seinem Gewaltmarsch durch die Klassiker-Wüste.

Seit 1959 fotografiert Barbara Klemm für die FAZ, über 40 Jahre, in denen kluge Leser-Köpfe ständig kluge Köpfe in ihrer Zeitung sehen wollten. Klemm ist die FAZ-Redaktionsfotografin und sie ist die erste Wahl, wenn es in Frankfurt darum geht, Qualitätstexte mit Qualitätsfotos zu illustrieren.

Angefangen hatte Klemm bodenständig mit einer ganz normalen Fotografenlehre. Mit 20 Jahren kam sie zur FAZ und wird seitdem durch die Welt zu den wichtigsten Ereignissen in Politik und Kultur geschickt. Dabei perfektionierte sie nicht nur ihr Handwerk, sie entwickelte auch ein außergewöhnliches Gespür für den richtigen Augenblick.

Trotzdem hat sich Barbara Klemm selbst nie als Fotokünstlerin begriffen. Das Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte in Oldenburg sieht das anders: Insgesamt 125 Porträts sind dort zu sehen, geordnet nach den einzelnen Kunstdisziplinen, plus einem Raum mit Philosophen.

Die Oldenburger Ausstellung ist wie ein Sunset Boulevard europäischer Geistesgrößen, und bis auf die Grenzgänger Alfred Hitchcock und Tom Waits gilt: Die Leute hier sind strictly Hochkultur. Was die Sache spannend macht: Der gemeine Elitekünstler hat im Gegensatz zu den Protagonisten des Pop keine Routine darin, sich ablichten zu lassen, schon gar nicht, wenn die Fotografin als Setting die privaten vier Künstler-Wände haben möchte. Klemm hat es immer wieder geschafft, dass sich Künstler in ihrer privaten Umgebung für sie in Pose begeben. Ein Grund dafür ist sicherlich: Barbara Klemm geht mit diesen Selbstinszenierungen behutsam um. Ihre Bilder halten die Balance zwischen Intimität und Distanz, sie erzählen von den Menschen, ohne sie bloß zu stellen.

Daneben sind Klemm über die Jahre auch einige aussagekräftige Schnappschüsse gelungen: Wolf Biermann etwa, wie er nach seinem legendären Konzert in der Kölner Sporthalle lachend von der Bühne geht und noch nicht weiß, dass die DDR ihn auf diesen Auftritt hin ausbürgern wird. Oder Günther Grass, wie er bei der Nobelpreisverleihung in Stockholm mit seiner Tochter übers Parkett walzt.

Barbara Klemm hat manche Künstler über die Jahr mehrmals fotografiert und das ermöglicht – in dieser Ausstellung allerdings nur selten – den unmittelbaren Vergleich: Peter Handke zum Beispiel, 1973 und 1991. Im Besucherbuch kann man dann lesen: „Habt Ihr gesehen, dass P. Handke inzwischen aufräumt?“

Als Zeitdokumente zeigen Barbara Klemms Fotos vor allem die Entwicklung des Verhältnisses zwischen Kamera und Künstler: Ingeborg Bachmann blickt 1971 noch schüchtern-verschreckt in die Ecke, während Felicitas Hoppe 20 Jahre später dem Betrachter gerade ins Gesicht schaut und sich positioniert auf einer Treppe - der Treppe nach oben. Die Bilder werden im Lauf der Jahre direkter, der Grad der Inszenierung nimmt zu, und trotzdem ist klar: Barbara Klemm hält Distanz. Und wartet auf den richtigen Augenblick. Klaus Irler

Noch bis zum 13. Januar 2002, geöffnet Di-Fr 9-17 Uhr, Do 9-20 Uhr, Sa-So 10-17 Uhr