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Wechselprobleme: zwei Bücher von Klaus Schlesinger
: Kein Land in Sicht

Klaus Schlesinger wurde 1979 aus dem Schriftstellerverband der DDR geworfen, weil er einen Brief an Honecker unterschrieb, in dem Intellektuelle die DDR-Kulturpolitik kritisierten. Ein Jahr später siedelte er nach Westberlin über. Der im Mai dieses Jahres verstorbene Schriftsteller erlebte die Ankunft im Alltag des Westens zehn Jahre früher als die meisten DDR-Bürger und konnte somit beide Systeme gut vergleichen. Das bewahrte ihn vor einer Verklärung des östlichen, aber auch vor einer unkritischen Sicht des westlichen Deutschlands.

In seinem autobiografischen Buch „Fliegender Wechsel – Eine persönliche Chronik“ beschreibt Schlesinger den Übergang von Ost- nach Westberlin „intensiv und nachdenklich, weit entfernt von jeder Schwarz-Weiß-Malerei“, wie Christa Wolf über das erst 1990 erschienene Buch urteilte. Der „Fliegende Wechsel“ fängt an mit Schlesingers letzten Tagen in Ostberlin. „Warten seit zwei Monaten. Nichts widerwärtiger als das Warten. Auf Entscheidungen, die andere fällen, auf Pässe.“ Dazu gesellen sich in dieser seltsamen Zeit „Gefühle von Ekel. Diese Arroganz, diese Ignoranz. Dieses konstante Ausblenden von Wirklichkeit.“ Schlesinger beschreibt absurde Situationen. Im Hochhaus der Schlesingers wohnt auch Honeckers Tochter. Einmal trifft er im Fahrstuhl ihren Vater. „Hat’s geklappt?“, fragt Honecker nach den Pässen und wünscht „Viel Glück!“ im Westen.

Dort angelangt, herrscht ein „stürmisches Hin und Her – geographisch, meteorologisch, seelisch“. Erste Beobachtungen gelten der Zeit, die hier zu rasen scheint, und für einen DDR-Bürger neue, überwältigende Eindrücke: volle Regale, pünktliche Züge und „du kaufst einen Teppichboden, und er wird in zwei Tagen ins Haus geliefert. Gibt es Schwierigkeiten, gehst du in den nächsten Laden. Du zahlst nur. Du musst nur zahlen können.“ Genau das ist aber auch das Problem. „Die Schwierigkeiten beginnen dort, wo die gewinnbringenden Bereiche aufhören.“ So braucht Schlesinger Dutzende Anrufe, um einen Zuständigen in der Verwaltung ausfindig zu machen. „Das kenne ich doch.“ Nämlich aus der alten Heimat. Besonders in Momenten wie dem lässt die DDR den Schriftsteller nicht los, als er hört, Hermann Kant habe geäußert, der DDR-Schriftstellerverband lege auf solche Leute wie Schlesinger keinen großen Wert. Schlesinger versucht, so unvoreingenommen und detailliert wie möglich, seinen neuen Alltag zu beschreiben. Die erste Parisreise seines Lebens, die taz, die ihn übrigens mit Pointen zum Lachen bringt, aber auch Geldsorgen, „der Druck der Feuilletonbosse, ihre Macht, die der eines ZK-Sekretärs für Kultur nur wenig nachsteht“ und die „verfluchte Tendenz zur Ranglistenliteratur und mediengerechter Selbstdarstellung“.

Schlesinger leidet am Verlust seiner Heimat. „Bei der Rückfahrt in die Bundesrepublik wachsende Beklemmung. Das sichere Gefühl: Hier möchte ich nicht begraben sein. Das ist nicht mein Land“, schreibt er trotz des Privilegs, mit Ein- und Ausreisevisum zwischen Ost- und Westberlin pendeln zu können. In der DDR würde er gern leben, kann es aber nicht. Im Westen möchte er eigentlich nicht leben, tut es aber zwangsläufig.

Folgerichtig zog Klaus Schlesinger nach der Wende wieder nach Ostberlin und schrieb in den letzten Jahren für Zeitungen oder Vorträge: „Von der Schwierigkeit, Westler zu werden“ heißt das Buch, das der Aufbau Taschenbuch Verlag vor drei Jahren zusammenstellte. Aufmerksame Leser seines „Fliegenden Wechsels“ ahnen die Schwierigkeiten. Denn erstens blieb Schlesingers Sehnsucht nach der DDR immer ungestillt: „Ich habe gar nichts mehr gegen unseren Beitritt. Kopfschmerzen macht mit nur, dass wir nie wieder austreten können.“ Zweitens hat sein Leiden an der DDR nie aufgehört. Stasi und Mauer, die „in mein Leben eingegriffen hat, ob ich es wollte oder nicht“, hinterließen seelische Narben.

Trotz all dieser Hin- und Hergerissenheit bewahrte Schlesinger den präzisen Blick und lieferte auch überraschende Schlussfolgerungen: „Ich gebe zu, es ist nicht alles schlecht, was aus dem Westen kommt!“

ANDREAS HERGETH

Klaus Schlesinger: „Fliegender Wechsel“ und „Von der Schwierigkeit, Westler zu werden“. Aufbau Taschenbuch Verlag Berlin, 7,6 € (14,90 DM) bzw. 8,1 € (15,90 DM)