Auf Schicht in Mitte

Drei Frauen aus Australien, Amerika und Deutschland, die das Internationale an Berlin schätzen und sich trotzdem gern als Regionalisten verstehen: Die Chicks On Speed wollen die Regeln von Pop neu erfinden und am liebsten noch mehr arbeiten

von SUSANNE MESSMER

Als man vor mehr als drei Jahren zum ersten Mal von den Chicks On Speed hörte, da ging ein ganz spezieller Glanz von ihnen aus. Sie gehörten zu den wenigen Bands, über die sich immer mal wieder dieses hoffnungsvolle Raunen breitet, man könnte es mit etwas wirklich Neuem zu tun haben. Es war zwar nur die hundertste Coverversion von Daniel Millers „Warm Leatherette“, die man von ihnen zuerst hörte, dafür aber eine besonders charmante.

Die Chicks On Speed, hörte man, eine neue Band aus München, seien drei schöne, siegessichere Frauen aus Australien, Amerika und Deutschland, die sich auf der Kunsthochschule kennengelernt hätten und eigentlich nur zufällig zur Musik gekommen seien: durch eine Performance, mit der sie auf der Bühne an ausgestöpselten Plattentellern die Wichtigtuerei der DJs parodierten. Das klang toll in einer Zeit, in der man es längst aufgegeben hatte, über Frauenquoten im Pop nachzudenken, und so war man bei ihren ersten Auftritten auch ziemlich ehrfürchtig.

Inzwischen hat man sich etwas an sie gewöhnt, man hat keine Lust mehr, sie zu mögen, nur weil sie Mädchen sind, man will die Chicks On Speed mögen, weil sie gute Platten machen. Nach Berlin sind sie vor kurzem gezogen und tauchen hier und da im ganz normalen Ausgehalltag auf. Und trotzdem ist man dann doch wieder aufgeregt, auf dem Weg in ihre Wohnung in der Torstraße. Drei Freundinnen, die ihre gemeinsamen Hobbies zur Arbeit erklärt haben, das hat nach wie vor schon deshalb was Erhabenes, weil es so selten ist. Dieser Eindruck geht auch dann nicht weg, als wir zu viert um den großen Tisch in der Küche sitzen und darüber diskutieren, ob man Gunpowder-Tee besser mit oder ohne Milch trinkt.

Die Chicks On Speed, Kiki Moorse, Melissa Logan und Alex Murray-Leslie, arbeiten so viel, dass es nicht selbstverständlich ist, sie zwischen Tür und Angel schnell für ein Stündchen zu erwischen, zwischen dem letzten Studiotermin und der nächsten Reise nach Paris, wo sie ein Fototermin mit Karl Lagerfeld erwartet. Gerade haben sie im Studio fast fünf Stücke fertiggestellt für das neue Album, das im Mai erscheinen soll. Nebenbei sind sie mit ihrem eigenen Label beschäftigt, auf dem jetzt nicht mehr nur ihre eigenen Platten, sondern auch die anderer Frauen erscheinen – zum Beispiel die letzte Platte der amerikanischen Riot Grrrls Le Tigre. „Die Regeln im Pop, die von Männern über die Jahre hinweg aufgebaut wurden, wollen wir neu erfinden“, sagt Melissa. „Unser Label ist ein Weg, Musik von Frauen zu unterstützen“, sagt Alex.

Die viel beschäftigten Chicks: Kein Festival lassen sie aus, sei es in Frankreich, Spanien oder Portugal. Sie entwerfen Kunst wie das Boob-Monster, eine Gummipuppe aus lauter Brüsten. Aus einem bemalten Banner, das sie für eine Pariser Galerie bemalt haben, wollen sie jetzt zwanzig Laptoptaschen nähen, die man vielleicht auch in ihrem aufwändig gestalteten Webshop (www.chicksonspeed.de) wird bestellen können. Dass der Background Kunst bei den Chicks on Speed nach wie vor massiv ist, beweisen nicht nur ihre Vorbilder wie Vanessa Beecroft mit ihren starren Performances, Tableaux zwischen Stilleben und Catwalk, oder die japanische Cyberkünstlerin Mariko Mori. Auch ihr Hang zum Gesamtzusammenhang, ihre durchgestylten Konzepte und ihre Liveshows werden oft als prätentiös empfunden, sind aber humorvoll genug, dass sie auch Spaß machen. Mal treten die Chicks On Speed im Damenklo, mal hinter statt auf der Bühne auf, kitzeln den Frust des Publikums, das intervenieren muss, will es etwas haben von der Show. „Wir spielen mit jeder Idee von Identität, wir verstecken uns“, sagen sie und meinen damit auch ihre Texte über Mädchen in Pastell, die sich ihre Zähne fünf mal täglich putzen und gern still stehen, um besser angeschaut werden zu können.

Auf so vielen Hochzeiten wie möglich tanzen, sich keine Arbeitsteilung erlauben, das eine vom anderen profitieren lassen, ohne dabei langweilig professionell zu werden, das ist das Ziel der Chicks On Speed. Die von ihnen entworfene Mode, in der sie auch auftreten, provisorische Klamotten aus Papier oder Stofflappen, die notdürftig mit Paketschnur zusammengehalten werden – sie wirken wie selbstgebastelte Kleider von jungen Mädchen, die keine Lust haben, nähen zu lernen, aber trotzdem so schnell wie möglich toll aussehen wollen.

Ungeduld ist der Antrieb, der die Chicks On Speed auch Musik machen lässt. Von Anfang an war das Prinzip der drei, alle Türen zu nutzen, die ihnen aufgehalten wurden. „Wir sind eine soziale Band“, sagen sie und meinen damit, dass sie viel zu selbstbewusst sind, um Hilfe auszuschlagen. Oft sind sie dafür kritisiert worden, dass sie ihre Musik nicht selbst programmieren, aber das sei Blödsinn, sagt Kiki, „hätten wir erst angefangen, programmieren zu lernen, würden wir jetzt noch im Keller sitzen und nicht hier.“ So lesen sich auch die Credits auf den Platten dieser Band: DJ Hell, Thies Mynther von Stella, Superpunk und Phantom/Ghost, Ted Gaier von den Goldenen Zitronen, Chris Korda und Patrick Pulsinger sind nur einige wenige, mit denen sie schon zusammengearbeitet haben.

Und trotzdem scheint es mit ihrem Dilettantismus zwangsläufig bergab zu gehen. Für die Aufnahmen zum neuen Album, erzählen die Chicks, hatten sie zum ersten Mal ein richtiges Exposé, vier Stücke, die schon grob aufgenommen waren. Ihre Platte mit Kreidler, die gerade erschienen ist, ist dabei nur eins von vielen schönen Beispielen für dieses spezielle Schmarotzertum der Chicks, das plötzlich in etwas ganz Neues umschlägt. Die Chicks nennen diese Vorgehensweise zuweilen auch kollektiv: „Jeder, der mitmacht, ist ein Chick.“ Die vier Stücke auf der EP mit Kreidler klingen wie aus dem Jenseits, der Höhepunkt ist eine Coverversion des Duetts „Where The Wild Roses Grow“ von Kylie Minogue mit Nick Cave. Überall spukt es oder klingt nach Kofferradio auf dem Meeresgrund, und trotzdem wird das abstrakte Knistern, das man von Kreidler gewohnt ist, durch den Hang der Chicks zum wuchtigen Dancefloor und durch ihre Effekthascherei mit billigen 80er-Samples beschleunigt und vom Kopf auf die Füße stellt.

Auch, dass sie jetzt in Berlin leben, habe ihre Arbeit verändert. Schon als sie 1998 einmal im WMF gespielt haben, saßen sie anschließend im Flieger und wussten nicht mehr, warum sie jetzt zurück nach München fliegen. „Berlin ist internationaler als Müchen“, sagt Kiki. Für das neue Album haben sie bisher schon Peaches und Miss Kittin eingeladen, im Studio vorbeizukommen, „und das geht nur, wenn man vor Ort ist“, sagt Alex. Obwohl sie glauben, das Berlin die neue Pop-Hauptstadt Deutschlands wird, würden sie es bedauern, wenn die Stadt für Deutschland wird, was London für England oder Paris für Frankreich ist. „Wir sind Regionalisten“, sagen sie und finden, dass jeder, egal wo er lebt, seine lokale Musikszene pflegen sollte. Auch wenn das mehr Arbeit macht.