„. . . und Action, Mr. Bin Laden“

Am Filmset in Afghanistan: Martin Scorsese und Michael Ballhaus drehen ein Video

Die Gegend ist ein wenig trostlos. Nur Steine und Geröll, kaum Bäume oder Sträucher. Von einem fernen Gipfel steigt eine schmale Rauchsäule in den Himmel; gelegentlich ist das Donnern dumpfer Bombeneinschläge zu hören. Kein Ort, an dem man den Urlaub verbringen möchte. Nach Afghanistan will in diesen Tagen ohnehin niemand. Außer Thomas Glaubitz. Der Unteroffizier gehört zu einer Eliteeinheit junger Pioniere – ein Vorauskommando, das die Bundeswehr ins Land geschickt hat, um die Landung regulärer Truppenverbände vorzubereiten. Doch es kam anders: Kaum gelandet, wurden Glaubitz und die ihm unterstellten Kameraden zu einem geheimen Sonderauftrag abkommandiert. Er und seine Jungs sollten sich um ein US-Filmteam kümmern. Dafür sorgen, dass ein von Bomben beschädigtes Gästehaus so hergerichtet wird, wie die Amerikaner es wünschten. Mehr erfuhr er vorerst nicht.

Im geräumigen Innenhof riecht es noch nach Zement und frischer Farbe. Glaubitz’ Truppe hat ganze Arbeit geleistet. Ein eiliger Job: Kaum ist der eigens mit einer Transportmaschine eingeflogene Caterpillar außer Sichtweite gebracht, taucht die Wagenkolonne am Horizont auf. Ein paar US-Militärjeeps, LKW, die Limousinen mit Security-Personal. Dann: ein Dutzend hochglanzpolierter schwarzer Wohnmobile mit getönten Scheiben. Diejenigen, die aussteigen, beginnen unverzüglich herumzuwuseln. Eine Fünf-Kilowatt-Lampe soll die fahle Mittagssonne unterstützen, mitgebrachte Wrackteile eines Hubschraubers werden außerhalb des Grundstücks drapiert, am LKW lädt man Pferde aus. Plötzlich bemerkt Glaubitz zwei Männer, die laut und heftig diskutieren. Es sind der Hollywood-Regisseur Martin Scorsese und sein Kameramann Michael Ballhaus. „Die haben mir 40 Millionen gegeben,“ sagt Scorsese, „dafür, dass ich diesen Scheiß hier mache. Billig soll es aussehen, wie ein Amateurvideo. Und du willst die Totale mit einer Kranfahrt? UBL reitet wie Lucky Luke in die untergehende Abendsonne?“ – „Quatsch,“ sagt Ballhaus, „der ist doch garantiert wieder so sturzbesoffen, dass er vom Gaul fällt. Aber wenn sie dir schon 40 Millionen Schmerzensgeld dafür geben, dass du ‚Gangs of New York‘ wegen der Arabs nicht in die Kinos bringst und damit auch auf meinen Oscar verzichtest, dann lass uns wenigstens das hier anständig machen.“ – „Machen wir auch, ein professionelles Amateurvideo: Im Haus gibt’s kein Licht, nur das, was da ist. Guck dir den Kerl doch an: Wenn du ihn einleuchtest, glaubt keiner mehr, dass das UBL sein soll. So fett und besoffen wie der aussieht. Und das Stativ ist verboten, ich will Wackelbilder. Ton gibt’s auch nicht, nur das Kameramikro. Das kann dein kurzatmiges Geschnaufe aufnehmen, das ist wenigstens authentisch. Sollen die sich doch später mit dem Text rumärgern.“

Blitzschnell kapiert Unteroffizier Glaubitz: UBL, das ist die bei den amerikanischen Freunden übliche Abkürzung für Ussama Bin Laden. Ist er hier? Der Feind? Kollaboriert er mit den Amis? Da kommt ein Schwarzer im weißen Outfit der Catering-Truppe, bringt Hamburger, Donuts und Kaffee für alle. Und klärt ihn auf: „Well, unser Ussama. Als die Regierung vor ein paar Wochen mit Hollywood über patriotische Filme redete, hat ihn eine Agentur ausgegraben. Mit dem Bart sieht er dem echten schon verdammt ähnlich. Kein Star, er war nur mal in ‚General Hospital’ als Anästhesiearzt in der zweiten Reihe zu sehen. Heißt Habib Rajid. Stammt aus Puerto Rico, seine Mutter war Inderin, sein Urgroßvater ist beim Bau des Panamakanals umgekommen. Sein Vater ist Marokkaner, deshalb kann er Arabisch. Aber sie müssen dort ein anderes Arabisch reden, auch deshalb gibt’s Probleme mit der Tonspur.“ – „Was für Probleme?“, will Glaubitz wissen. „Wenn sie ihm den Bart ankleben, fängt er an zu nuscheln. Den Santa Claus in einer Shopping Mall in Detroit kann er sicher gut. Aber das hier ist was anderes.“ – „Und was wird gedreht?“ – „Top Secret, darüber darf ich nicht reden. Lawrence of Arabia ist es nicht. Aber siehst Du Special Agent Miller da drüben? Der spielt den Sheik. Viel mehr als ‚Allah be praised’ muss er nicht sagen. Er lässt gerade den abgestürzten Hubschrauber präparieren. Der steht morgen auf dem Drehplan.“

Glaubitz beginnt zu ahnen, worum es geht. „Und wenn alles auffliegt?“, wollte er gerade fragen. Aber da öffnet sich die Tür eines Wohnmobils – heraus kommt ein drehfertiger UBL. Fast perfekt, wenngleich er etwas zu schwanken scheint. „Na, hab ich zu viel versprochen? Und wenn der Schlamassel vorbei ist, wird er dem Volk als frisch gefangener Ussama präsentiert. Das ist dann wirklich die Rolle seines Lebens.“ DIETER GRÖNLING